Wenn Angehörige zur Übernahme der Betreuung vorgeschlagen werden, sind sie vor der Entscheidung, mit der sie übergangen werden und ein Berufsbetreuer bestellt wird, gerichtlich anzuhören

Zum Umfang der Amtsermittlungspflicht in Fällen, in denen das Betreuungsgericht statt eines vom Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen einen Berufsbetreuer auswählt.

BGH, Beschluss vom 1.3.2023 – XII ZB 285/22:

Nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht dem Wunsch des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, es sei denn, die gewünschte Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet. Ein solcher Wunsch erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vorschlag der betreuten Person ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft ist. Vielmehr genügt, dass die betreute Person ihren Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle ihr Betreuer werden (s. auch Beschluss BGH v. 18.8.2021, AZ: XII ZB 151/20)

Nach § 1816 Abs. 3 BGB sind, wenn die betreute Person niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers die familiären Beziehungen, insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen sowie die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen. Die bevorzugte Berücksichtigung der Angehörigen dient dem Schutz von Ehe und Familie. Die Vorschrift kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Betroffene einen Angehörigen als Betreuer benannt hat. Denn der Angehörige ist nach Maßgabe dieser Vorschrift „erst recht“ zu bestellen, wenn der Betroffene selbst diesen Angehörigen ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat. Gemessen an den in § 1816 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein Kind des Betroffenen, das zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und das der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten einer Bestellung seines Kindes entgegenstehen. Diese rechtliche Gewichtung stellt erhöhte Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht. Es verstößt gegen die Amtsermittlungspflicht, wenn der Richter die Redlichkeit des zur Betreuung vorgeschlagenen Angehörigen in Zweifel zieht, dies aufgrund von Mitteilungen durch Dritte, den Angehörigen jedoch nicht selbst anhört und einen Berufsbetreuer bestellt.

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