Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht zur vorläufigen Aussetzung einer Vorführungsanordnung in einem Betreuungsverfahren wegen Verletzung des Rechts des Betroffenen auf rechtliches Gehör Art. 103 Abs. 1 GG

BVerfG, Entscheidung vom 02.12.2009, Aktenzeichen: 1 BvR 2797/09

Sachverhalt:

Nach Mitteilung des Sachverständigen, die Beschwerdeführerin verweigere sich einer Untersuchung zu unterziehen, fasste das Amtsgericht Hannover einen Beschluss. Unter Ziffer 1 wurde gemäß §§ 283, 322 FamFG angeordnet, die Beschwerdeführerin zur Vorbereitung eines Gutachtens über die Erforderlichkeit einer Betreuung und einer geschlossenen Unterbringung durch Dr. W. untersuchen zu lassen.

Unter Ziffer 2
wurde die Vorführung zur Untersuchung durch die zuständige Behörde Betreuungsstelle – auch gegen den Willen der Beschwerdeführerin – angeordnet. Die Betreuungsbehörden seien zum Zwecke der Ausführung dieses Beschlusses befugt, verschlossene Haus- und Zimmertüren zwangsweise öffnen zu lassen und bei Widerstand der Beschwerdeführerin Gewalt anzuwenden.

Unter Ziffer 3
wurde die Entscheidung für sofort wirksam erklärt und unter Ziffer 4 als nicht anfechtbar gemäß § 68b Abs. 3 Satz 2 FGG bezeichnet.

Unter Ziffer 5 wurde Dr. W. ersucht, ein Gutachten über die Frage der Erforderlichkeit, Umfang und voraussichtliche Dauer einer Betreuungsbedürftigkeit und einer gegebenenfalls erforderlichen geschlossenen Unterbringung zu erstatten.


Zur Begründung führte das Gericht knapp aus: Die Beschwerdeführerin habe einen Termin beim Sachverständigen nicht wahrgenommen, sodass nunmehr nach §§ 283, 322 FamFG zu verfahren sei. Die Beschwerdeführerin hat Verfassungsbeschwerde erhoben.

Die Absicht, eine Betreuung für sie einzurichten, sei weder ihr noch ihrem Rechtsanwalt mitgeteilt worden. Sie sei aus "allen Wolken" gefallen, als sie der Sachverständige anrief. Selbst ein Verbrecher habe ein Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Bevor man ihr nicht die Möglichkeit gegeben hätte, auf das Verfahren einzuwirken, könne die Obrigkeit nicht über sie verfügen und einen unanfechtbaren Beschluss erlassen. Das Gericht könne nicht schreiben, sie habe die Mitwirkung verweigert, obwohl man ihr keine Gelegenheit zur Mitwirkung gab. Das Amtsgericht habe "keine Handhabe" gegen sie, um eine Betreuung einzurichten.

Die Beschwerdeführerin betont die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit und stellt sinngemäß einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Entscheidung:

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Der erhebliche Grundrechtseingriff, der bei Nichtergehen der einstweiligen Anordnung und einem späteren Erfolg der Verfassungsbeschwerde eintreten könnte, könnte durch eine nachträgliche Entscheidung nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Demgegenüber käme es bei Ergehen der einstweiligen Anordnung ohne Erfolg in der Hauptsache lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung, mit der keine akute Gefährdung verbunden ist. Damit fällt die Folgenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin aus.

Da die Beschwerdeführerin nicht über die beabsichtigte Untersuchung und Einrichtung der Betreuung informiert wurde, könnte sowohl § 283 Abs 1 S 1 FamFG als auch Art 103 Abs 1 GG verletzt sein.

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