Zwangsweise Unterbringung – Schockierendes, krankhaftes Verhalten und zu erwartende gesellschaftliche Isolation genügen nicht

Der Kester-Haeusler-Stiftung werden u. a. auch Fälle von Angehörigen geschildert, in denen ihrer Ansicht nach das Krankheitsbild v. psychisch kranken Familienmitgliedern eigentlich dringend erforderlich machen würde, diese – zumindest vorübergehend – in medizinischen Einrichtungen zwangsweise unterzubringen, weil sich der Krankheitszustand phasenweise verschlechtert und sich Betroffene deshalb nachhaltigen Schaden zufügen, indem sie sich insgesamt nach allg. Maßstäben schockierend verhalten und sich mit Häufigkeit und zunehmender Schwere dieser Phasen immer mehr sozial und gesellschaftlich selbst isolieren. Mit der nach Abklingen dieser Phasen empfundenen Scham kommen oft weder die Betroffenen, noch die Angehörigen dauerhaft zurecht.

Besonders problematisch können sich diese Fälle v. a.  dann gestalten, wenn von den Betroffenen aufgrund ihres krankheitsbedingten Verhaltens keine Fremdgefährdung ausgeht. Dies bedeutet, dass eine Unterbringung nur nach betreuungsrechtlichen Regelungen (zivilrechtlich) durchgeführt werden kann. Dies bedeutet weiter, dass objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens festgestellt werden müssen und dass der Betroffene nicht dazu in der Lage ist, im Hinblick auf die zwangsweise Unterbringung einen freien Willen zu bilden.

Diese Feststellungen zu treffen ist in o. g. Einzelfällen praktisch jedoch oft äußerst problematisch. Schockierendes Verhalten und dadurch ggf. hervorgerufene soziale und gesellschaftliche Isolation genügen eben regelmäßig nicht, eine zwangsweise Unterbringung – und wenn auch nur für kurze Zeit – zu rechtfertigen. Dies auch dann nicht, wenn das Verhalten des Betroffenen noch so krankhaft und existenzvernichtend erscheint. Maßgeblich ist allein die Feststellung einer konkreten, erheblichen Gefahr für Leib und Leben.

Ein besonders verzweifelter Ehemann, dem es aus diesen Gründen nicht gelungen war, seine Ehefrau innerhalb einer schweren Krankheitsphase in einer medizinischen Einrichtung unterzubringen, äußerte: „Ich schaffe es nicht, meine Frau in ein Krankenhaus zu bringen. Wenn sie diese Phase irgendwann überwunden hat und realisiert, was sie angerichtet hat, wird sie sich umbringen.“

 

Indes haben Betroffene selbst Anspruch auf staatlichen Schutz in Form einer zwangsweisen Unterbringung, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen:

BGH, Beschluss vom 22.6.2022 – XII ZB 376/21, aus den Gründen:

Die zivilrechtliche Unterbringung ist wie das Betreuungsrecht insgesamt ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht daher auch ein Recht des Betroffenen auf die staatliche Maßnahme, hier die zwangsweise Unterbringung. Die §§ 1896 ff. BGB haben nicht nur einen in die Grundrechte eingreifenden Gehalt, sondern dienen insbesondere der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde des Betroffenen, der wegen seiner Krankheit oder Behinderung nicht eigenverantwortlich entscheiden kann, sowie dem Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit (Senatsbeschluss vom 2.2.2022 – XII ZB 530/21).

Dementsprechend stellen sich zivilrechtliche Unterbringung und ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht nur als Grundrechtseingriffe, sondern vor allem auch als den Betroffenen begünstigende Maßnahmen der staatlichen Fürsorge dar. Das bedeutet, der Betroffene selbst hat Anspruch auf Schutz und Behandlung, der auch umzusetzen ist, wenn der Betroffene krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden kann und sich ohne medizinische Behandlung erheblich schädigen würde. Dass dies nur mit schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte des Betroffenen möglich ist (zwangsweise Unterbringung), ändert nichts daran, dass diese Grundrechtseingriffe begünstigenden Charakter haben.

Im Regelfall ist die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB dementsprechend dadurch gekennzeichnet, dass den Betroffenen die notwendige Krankheitseinsicht fehlt und mithin allein die Unterbringung, erforderlichenfalls ergänzt durch medizinische Zwangsmaßnahmen, die Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass die Krankheit des Betroffenen behandelt werden kann (Senatsbeschluss vom 2.2.2022 – XII ZB 530/21).

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