Wenn der Betreute eine wirksame Patientenverfügung verfasst hat, die eine ärztliche Behandlung in der konkreten Krankheits- und Behandlungssituation ablehnt oder nur bestimmte Maßnahmen erlaubt, ist der Inhalt dieser Verfügung für den Betreuer maßgeblich. Dann ist eine medizinische Zwangsmaßnahme unabhängig vom derzeitigen Stadium der Krankheit gegen den Willen des Betreuten nicht zulässig, beziehungsweise nur in Bezug auf die genannten bestimmen Maßnahmen zulässig. Wichtig hierbei ist natürlich, dass es sich auch wirklich um eine wirksame Patientenverfügung handelt, z. B. in Form einer psychiatrischen Verfügung oder einer Behandlungsvereinbarung.
Sollte der Betroffene keine Patientenversorgung verfasst haben, oder die erforderliche Maßnahme eben nicht von einer solchen gedeckt sein (s.o.), muss der Betreuer für die Zulässigkeit seiner Entscheidung den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zugrunde legen. Dieser ist in medizinischer und pflegerischer Hinsicht in vielen Fällen der Dreh- und Angelpunkt und hat dadurch in der Realität einer der in Patientenverfügungen festgelegten Willensäußerung vergleichbare Dimension.
Aus § 1901a BGB ergibt sich, dass für den mutmaßlichen Willen maßgeblich ist, was der Betreute wollen würde. Zu beachten hierbei sind frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Betroffenen, seine ethischen oder religiösen Überzeugungen und sonstigen persönlichen Wertvorstellungen.
Die Feststellung des mutmaßlichen Willens bereitet in der Praxis oft enorme Schwierigkeiten. Anders als der tatsächliche (natürliche) Wille, welcher vom Patient selbst in der aktuellen Situation geäußert wird, muss der mutmaßliche Wille von außen erschlossen werden. Der Inhalt des Willens muss konkret und individuell manifestiert worden sein, es ist bei der Ermittlung nicht auf objektive, allgemein gültige Wertvorstellungen zurückzugreifen. Sie können höchstens Anhaltspunkte für die Feststellung des hypothetischen Willens sein. Dies führt zu erheblichen Problemen, da es in den Einzelfällen nicht oft der Fall sein wird, dass viel fundiertes, nachvollziehbares Gedankengut im Umkreis des Patienten zu finden sein wird. Wie lässt sich praxisorientiert feststellen, was der Patient zu diesem Thema individuell auf sich bezogen geäußert hat? Bei Anlegung strenger Maßstäbe an den mutmaßlichen Willen fällt es oft schwer, hinreichend konkrete Äußerungen oder Meinungen des Patienten zu ermitteln. Weitere subjektive Kriterien, den Willen des Patienten zu ermitteln, sind z. B. Informationen von nahestehenden Personen oder Familienmitgliedern, mit denen sich der Betroffene über dieses Thema unterhalten hat. Außerdem auch Informationen von behandelnden Ärzten, mit denen früher darüber gesprochen wurde.
Dabei ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, wie streng die Anforderungen an die Willensermittlung sind und mit welcher Sicherheit der Inhalt des Willens festgestellt werden muss. Soweit keine Patientenverfügung vorliegt und – wovon im Regelfall auszugehen sein wird – der Betroffene sich auch sonst nicht schriftlich zu diesem Thema geäußert hat – reichen dann Indizien aus, um den Willen in ausreichendem Maße feststellen zu können? Oder ist eine – wie z. B. bei einem Abbruch von künstlicher Ernährung – „mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ notwendig, die auf genaueren Erkenntnissen beruht?
Falls es trotz aller Bemühungen nicht möglich ist, den mutmaßlichen Willen des Betroffenen hinreichend sicher und konkret zu bestimmen, stehen sich zwei Spannungsfelder gegenüber. Um einen der oberste Grundsatz des Betreuungsrechtes, der darauf gerichtet ist, den Willen des Betreuten zu respektieren und im Sinne seines subjektiven Wohls zu handeln, also die medizinische Maßnahme eventuell zu unterlassen. Auf der anderen Seite stehen die vom Staat umfassend geschützten hohen Rechtsgüter auf Leben und körperliche Unversehrtheit.