Was würde das automatische Angehörigenvertretungsrecht bedeuten?

Wenn ein Betroffener vorübergehend oder dauernd aufgrund von Krankheit oder Unfall, nicht mehr in der Lage sein sollte, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, würde ein gesetzlich verankertes Vertretungsrecht dazu führen, dass – ohne dass ein Gericht eingeschaltet werden müsste und ohne vorherige Erstellung einer Vorsorgevollmacht – automatisch der Ehepartner / eingetragene Lebenspartner vertretungsberechtigt wäre. Er könnte somit alle erforderlichen Entscheidungen bzgl. des Betroffenen sofort und mit Wirkung nach außen treffen.
Zunächst ist hierzu die Frage berechtigt, ob dies wirklich der Wunsch aller Betroffenen wäre. Sicher wünschen sich die meisten Menschen in einer solchen Situation den Beistand und die Handlungsfähigkeit ihrer nahen Angehörigen. Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass evtl. nicht alle Menschen so denken. Bei einem gesetzlichen Stellvertretungsrecht durch Angehörige handelt es sich immerhin um einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen (Selbstbestimmungsrecht) von erheblichem Gewicht.
Schon bestehende, innerfamiliäre Konflikte können dazu führen,  dass Betroffene beispielsweise davon Abstand nehmen möchten, sich automatisch „in die Hand“ der Angehörigen zu begeben. Genauso können Bedenken bestehen, ob die zur Verfügung stehenden Angehörigen der Belastung überhaupt ausgesetzt werden sollen oder wollen, sozusagen „automatisch“ verantwortlich gemacht zu werden.
Für solche Fälle ist ein Widerspruchsrecht für die Betroffenen vorgesehen, welches allerdings ausgesprochen werden muss, bevor ein Zustand eingetreten ist, der ein Vertretungsrecht erforderlich macht. Es müsste diesbezüglich also Vorsorge getroffen werden, was schon im Vorfeld zu erheblichen Spannungen und Streitigkeiten innerhalb der Familie führen kann. Die Angehörigen können oder wollen evtl. nicht verstehen, warum der Betroffene möchte, dass lieber ein Fremder (Betreuer, Bevollmächtigter) mit derart wichtigen Entscheidungen betraut werden soll.
Die Frage, ob diese Konsequenzen tatsächlich per Gesetz geschaffen werden sollen und die Institution „Familie“ einer derartigen Regelung überhaupt gewachsen wäre, ist also durchaus berechtigt. Gerade wenn es um psychische Erkrankungen der Betroffenen geht, ist Überforderung der Angehörigen keine Seltenheit.
Aus der täglichen Arbeit mit Vorsorgevollmachten oder auch Betreuungsverfahren, in denen Familienangehörige zu Betreuern bestellt wurden, wissen wir, dass das Thema Betreuung, Vorsorgevollmacht und rechtliche Vertretung familienintern sehr oft „Sprengstoff“ beinhaltet. Unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Gesundheitssorge oder Handhabung in finanziellen Angelegenheiten sind auch innerhalb einer Familie an der Tagesordnung. Diese Unstimmigkeiten wachsen sich vor allem dann, wenn noch erbrechtliche Fragen oder Befürchtungen im Raum stehen, zu handfesten Familienstreitigkeiten aus, die dann vor Gericht ausgetragen werden. Die Erfahrung zeigt, dass es – bei aller berechtigten Kritik am derzeitigen Betreuungsrecht – unter Umständen auch durchaus sinnvoll sein kann, eine außenstehende Person als Betreuer oder Bevollmächtigten einzusetzen. Auch wir kennen Einzelfälle, in denen die professionelle Distanz eines Berufsbetreuers einen wichtigen „Puffer“ darstellen kann, der die Familie auf Dauer entlastet.

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