In inzwischen immer mehr uns bekannt gewordenen Fällen kommt es zu eklatanten Missbrauchsfällen von Vorsorgevollmachten. Die Erstellung von Vorsorgevollmachten zur umfassenden Vorsorge und zur Vermeidung von gerichtlichen Betreuungsverfahren ist zwar ein sehr wirksames Instrument zur Wahrung und zur Realisierung der Privatautonomie, birgt aber, wie sich nach und nach immer mehr herausstellt, erhebliche Gefahren für den Vollmachtgeber.
Ein besonders hohes Risiko der Vorsorgevollmacht ist die Tatsache, dass es keine festen Formvorschriften gibt. Dies öffnet Tür und Tor für Dritte, den Vollmachtgeber nach ihren Vorstellungen schon bei der Erstellung der Vollmacht (evtl. sogar uneingeschränkte Generalvollmacht) zu beeinflussen um anschließend das anfangs in sie gesetzte Vertrauen auf übelste Weise zu missbrauchen und die Konten leer zu räumen. Ein geeignetes Mittel für Personen, die es darauf abgesehen haben, schnell an Geld zu kommen.
Die Vollmacht ist grundsätzlich formfrei wirksam (Ausnahme: Immobiliengeschäfte, best. Bankgeschäfte). Voraussetzung ist, dass der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung geschäftsfähig ist. Wenn keine anderen Anzeichen offensichtlich sind, unterstellt das Gesetz die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers. Das heißt im Klartext, dass keine Person dafür zuständig ist, zu kontrollieren, ob der Vollmachtgeber zu dem Zeitpunkt, in dem er die Vollmacht erteilt, tatsächlich geschäftsfähig ist und ob die Befugnisse, die er dem Vollmachtnehmer erteilt, tatsächlich seinem Willen entsprechen und er sich über die Konsequenzen seines Handelns im Klaren ist. Oder ob er von Dritten beeinflusst und zur Erstellung einer Vollmacht mit bestimmten Inhalt gedrängt wurde. Es wird in der Regel davon ausgegangen, dass Geschäftsfähigkeit vorliegt und die Vollmacht mit all ihren rechtlichen Folgen wirksam ist. Es fehlt ein gesetzliches Kontrollinstrument. Vorbildlich ist diesbezüglich die Regelung in England, wonach zur wirksamen Erstellung einer Vorsorgevollmacht Zeugen erforderlich sind, die die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers bestätigen und eidesstattlich versichert werden muss, dass der Inhalt der Vollmacht so gewollt ist.
In Deutschland dagegen kann es passieren, dass übergangene Familienangehörige es aus „heiterem Himmel“ mit einem ihnen bis dahin völlig unbekannten Bevollmächtigten zu tun bekommen, der im schlimmsten Fall hinsichtlich des Vermögens, des Eigentums und der gesundheitlichen Versorgung und Unterbringung des Vollmachtgebers schalten und walten kann, wie er möchte. Es eröffnen sich hier leider viele denkbare Missbrauchstatbestände. Diese reichen von leergeräumten Konten über ausgeräumte Häuser und Wohnungen, totaler Isolation der Betroffenen bis zur (nicht gewollten) Unterbringung in Pflege- und Altersheimen. Diese immer häufiger zu Tage tretenden Fälle überschneiden sich inhaltlich auch mit der von der Kester-Haeusler-Stiftung an anderer Stelle thematisierten Erbschleicherei. All diese Fälle haben die Gemeinsamkeit, dass es nicht um die Sorge für den Betroffenen geht, sondern darum, möglichst viel Profit aus dessen oft hilfloser Situation zu schlagen!
Angehörige, die dann aber eine solche missbräuchliche Vorsorgevollmacht gerichtlich angreifen und aus der Welt schaffen möchten, kommen oft zu spät und haben unter Umständen sehr schlechte Karten. Denn durch ein rekonstruierendes Gutachten im Nachhinein feststellen zu lassen, dass der Vollmachtgeber zum damaligen Zeitpunkt schon geschäftsunfähig war und der Vollmachtsinhalt nicht seinem freien Willen entspricht, ist in der Praxis extrem schwierig und oft schlichtweg unmöglich. Denn in vielen Fällen – wie z. B. auch bei der Erkrankung an graduell fortschreitender Demenz – kann keine rückschauende Diagnose erstellt werden, die hinreichend bestätigen könnte, dass der Vollmachtgeber zum entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr geschäftsfähig war. Die Folge ist: Die Vollmacht bleibt wirksam und der Vollmachtnehmer hat freie Hand.
Aber auch wenn die Vorsorgevollmacht notariell beurkundet wurde, heißt dies nicht, dass die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers wirklich geprüft wurde. Dazu sind die Notare nicht verpflichtet. Sie sollen lediglich in der Urkunde vermerken, wenn es Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers gibt. Auch hier besteht die Gefahr, dass der Vollmachtgeber nicht seinem eigenen Willen entsprechend handelt, sondern der Beeinflussung von Dritten ausgesetzt ist.
Auch wenn die Geschäftsfähigkeit und der freie Wille des Vollmachtgebers bei Vollmachtserteilung überhaupt nicht problematisch waren, kann sich auch erst im Laufe der Zeit der Vollmachtsmissbrauch einstellen – durch die umfassenden Rechte, die dem Vollmachtnehmer durch die Vollmacht erteilt werden und von denen er jederzeit Gebrauch machen kann. Es ist deshalb unbedingt zu empfehlen, erst nach umfassender Beratung eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, in die vor allem schon im Vorfeld Kontrollinstrumente eingebaut werden, um die Möglichkeit des Missbrauchs bestmöglichst auszuschließen. Dies kann z. b. durch die Benennung eines Vollmachtkurators geschehen oder durch den – auf den Einzelfall abgestimmten – gezielten Einsatz mehrerer Bevollmächtigter.
Susanne Kilisch
Wiss. Mitarbeiterin