Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.12.2008, Az: IV ZR 58/07
Im vorliegenden Fall machte die Klägerin Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegenüber der Alleinerbin (Beklagte zu 1) geltend. Desweiteren nahm sie den Testamentsvollstrecker (Beklagter zu 2) auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass in Anspruch. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen, während die Revision der Beklagten teilweise Erfolg hatte.
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 03.12.2008. Az.: IV ZR 58/07, dass
1. wegen einer Abfindung, die der Erblasser für den Verzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbe leistet, steht einem weiteren Abkömmling ein Pflichtteilsergänzungsanspruch im Hinblick auf die Erhöhung seiner Pflichtteilsquote gem. § 2310 S. 2 BGB grundsätzlich nicht zu.
2. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Abfindung im Zeitpunkt, in dem sie erbracht wird, der Höhe nach im Rahmen der Erberwartung des Verzichtenden hält. Insoweit kommt es auf den Wert eines vom Verzichtenden zu beanspruchenden Pflichtteils nicht an.
3. Der Pflichtteilsberechtigte kann sich auf die in der Rechtsprechung bei gemischten Schenkun¬gen anerkannte Beweiserleichterung berufen, für die Frage, ob die vom Erblasser gewährte Leistung über ein Entgelt oder eine angemessene Abfindung für den Erbverzicht hinausgeht.
Kosten der Testamentsvollstreckung, die auf einer den Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigenden, den Testamentsvollstrecker möglicherweise sogar im Sinne eines Vermächtnisses begünstigenden letztwilligen Verfügung beruhen, bleiben nach Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur bei § 2311 BGB grundsätzlich außer Ansatz. Berücksichtigt werden sie jedoch, wenn die Testamentsvollstreckung auch für den Pflichtteilsberechtigten von Vorteil ist, beispielsweise wenn dadurch Kosten der Feststellung oder Sicherung des Nachlasses gespart werden.
Die Abfindung für einen Erbverzicht stellt nach wohl noch herrschender Meinung in der Literatur, soweit sie sich am Wert des Erbteils orientiert und nicht deutlich über ihn hinausgeht, keine Schenkung, sondern ein entgeltliches Geschäft dar. Liegt ein entgeltliches Geschäft vor, ist der Anwendungsbereich von § 2325 BGB von vornherein nicht eröffnet.
Die Rechtsprechung sieht in der Abfindung für einen Erbverzicht dagegen eine unentgeltliche Zuwendung. Im Schrifttum wird diese Auffassung zunehmend geteilt. § 2325 BGB wird dabei aber mit Rücksicht auf eine in Folge des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht eintretende Erhöhung des Pflichtteils nach § 2310 S. 2 BGB einschränkend ausgelegt: Es wird davon ausgegangen, dass die Abfindung grundsätzlich zu Gunsten des Pflichtteilsberechtigten durch § 2310 S. 2 BGB kompensiert wird, wenn sich die Abfindung in dem Zeitpunkt, in dem sie erbracht wird, der Höhe nach im Rahmen der Erberwartung des Verzichtenden hält. Der Pflichtteilsberechtigte soll wegen derselben, für den Verzicht eines gesetzlichen Erben geleisteten Abfindung nicht neben dem erhöhten Pflichtteil auch noch einen Ergänzungsanspruch erhalten. Nur dann soll eine Pflichtteilergänzung in Betracht kom¬men, wenn die Leistung des Erblassers an den Verzichtenden über eine angemessene Abfindung für dessen Erbverzicht hinausgeht.
Insoweit kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die für den Erbverzicht gewährte Abfindung eine entgeltliche oder unentgeltliche Leistung war. Der Pflichtteilsergänzung unterliegt nach § 2325 I BGB nur, was über ein Entgelt bzw. über eine angemessene Abfindung hinausgeht. Dabei ist nicht etwa auf den Wert des dem Verzichtenden zustehenden Pflichtteils abzustellen, sondern viel¬mehr auf den Wert des Erbteils, auf den verzichtet wird. Der Pflichtteilsberechtigte kann sich, für die Frage, ob die vom Erblasser zu seinen Lebzeiten gewährte Leistung über ein Entgelt oder eine ange¬messene Abfindung für den Erbverzicht hinausgeht, auf die in der Rechtsprechung bei gemischten Schenkungen anerkannte Beweiserleichterung berufen. Soweit zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht, ist danach eine Schenkung zu vermuten.
Seit jeher umstritten ist die Frage, ob eine Abfindung, die der Erbe anlässlich eines Erbverzichts erhält, unentgeltlich geleistet wird und damit Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB auslösen kann. Obwohl der Erbverzicht in der Praxis nur selten vorkommt, hatte der Bundesgerichtshof sich mit dieser Frage und damit erneut zu Problemen des Erbverzichts auseinanderzusetzen. Wegen § 2310 S. 2 BGB führt der Erbverzicht, anders als der Pflichtteilverzicht (§ 2346 II BGB), zu einer Erhöhung des Pflichtteils anderer Pflichtteilsberechtigter, weil der Verzichtende bei der Berechnung des für den Pflichtteil maßgeblichen Erbteils nicht mitgerechnet wird.
Der Grund für eine Pflichtteilserhöhung liegt darin, dass der Erbverzicht meist gegen eine Abfindung erfolgt. Dadurch wird der Nachlass geschmälert, so dass die damit einhergehende Erhöhung des Pflichtteils anderer eine Kompensation für diesen Verzicht sein soll. Es ist mit dieser Vorstellung nicht vereinbar, wenn der Pflichtteilsberechtigte diese Abfindung zum Anlass nehmen könnte, wegen einer solchen Zuwendung Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend zu machen. Dadurch erhielte er dann sowohl den Vorteil aus § 2310 S. 2 BGB, also den erhöhten Pflichtteil, als auch den Anspruch auf Pflichtteilsergänzung aus § 2325 BGB.
Der Ansicht des Bundesgerichtshofs ist insoweit zuzustimmen, dass dem weiteren Pflichtteilsberechtigten in diesem Fall ein Pflichtteilsergänzungsanspruch grundsätzlich nicht zusteht. Der uneingeschränkte Ausschluss des Pflichtteilsergänzungsanspruch würde in diesen Fällen zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen führen, denn damit könnte der Pflichtteilsanspruch weiterer Pflichtteilsberechtigter vollständig beseitigt werden. Dadurch würde sich der Erbverzicht rasch zu einem Instrument der Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen entwickeln. Jedenfalls dann muss ein Anspruch aus § 2325 BGB bestehen, wenn der Verzicht mit einer Abfindung verbunden ist, die in einem groben, auffälligen Missverhältnis zur Erberwartung des Verzichtenden steht.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch muss insoweit greifen, wenn der Verzichtende mit der Abfindung erheblich mehr erhält, als er als Erbanteil erwarten durfte. Wenn sich die grundsätzliche Unanwendbarkeit des § 2325 BGB auf Abfindungen anlässlich des Erbverzichts unter Hinweis auf die Erhöhungswirkung des § 2310 S. 2 BGB begründen lässt, greift diese Argumentation jedoch beim in der Praxis häufigeren Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 II BGB nicht. Eine Erhöhung der Pflichtteilsansprüche anderer tritt nach § 2310 S. 2 BGB hier gerade nicht ein.
Der Bundesgerichtshof hatte nicht zu entscheiden, ob bei einer im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsverzicht gezahlten Abfindung Entgeltlichkeit anzunehmen ist und damit Pflichtteilsergänzungsansprüche ausgeschlossen sind. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Vielmehr stellt eine Abfindung einen zeitlich vorgezogenen Erwerb dar, der beim Anfall im Todeszeitpunkt ohne Zweifel unentgeltlich wäre. Auch aus Sicht der Vertragsparteien stellt diese Vorwegnahme der Erbfolge eine unentgeltliche Verfügung dar, die den Anwendungsbereich des § 2325 BGB eröffnet.
Würde man die Abfindung anlässlich eines Pflichtteilsverzichts als entgeltlich auffassen, müsste dies auch für Zuwendungen, die auf den Pflichtteil anzurechnen sind (§ 2315 BGB) gelten, was aber nicht ernsthaft erwogen wird. Der Begünstigte verliert auch bei der Anrechnung nach § 2315 BGB einen Teil seiner Erb- oder Pflichtteilsansprüche. Stets unentgeltlich erfolgt daher die Abfindung im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsverzichtsvertrages, außer es liegt (ausnahmsweise) eine Ausstattung im Sinne des § 1624 BGB vor. Es bleibt damit festzuhalten, dass weder der Erbverzicht noch der Pflichtteilsverzicht alle Probleme der Nachlassplanung löst, sondern mitunter neue Probleme etwa im Hinblick auf die Pflichtteilsergänzung schafft.
Tanja Stier
Rechtsanwältin