Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden, § 1896 Abs. 1a BGB. In diesem Fall ist neben den anderen Voraussetzungen einer Betreuung immer zu prüfen, ob die Ablehnung der Betreuung auf dem freien Willen des Betroffenen basiert. BGH, Beschl. v. 21.11.2012, AZ: XII ZB 114/12
Aber was genau ist eigentlich der „freie Wille“ des Betroffenen? Wann ist der geäußerte Wille des Betroffenen nicht mehr „frei“, mit der Folge, dass dann – trotz Ablehnung des Betroffenen – eine Betreuung für ihn eingerichtet werden kann? Dieses Thema beinhaltet in der Praxis des Betreuungsrechts jede Menge Sprengstoff. Denn festzustellen, ob ein Betroffener seine Entscheidungen auf der Grundlage seines freien Willens trifft, ist extrem schwierig.
Zunächst ist klarzustellen, dass die Betreuung nicht zur Erziehung oder dazu dient, mehr oder weniger anerkannte gesellschaftliche Werte durchzusetzen. Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen selbst, und – womöglich sogar gegen seinen Willen – setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund einer durch Sachverständigengutachten festgestellten psychischen Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Für die Bestimmung des freien Willens wurden bestimmte Maßstäbe und Leitlinien entwickelt. Es wird zunächst gefragt, ob der Betroffene einsichtsfähig und in der Lage ist, entsprechend dieser Einsicht zu handeln. Diese Einsichtsfähigkeit liegt dann vor, wenn der Betroffene die für und gegen eine Betreuung sprechenden Argumente gegeneinander abwägen kann. Es muss ihm möglich sein, seine eigenen Defizite im Großen und Ganzen zutreffend einzuschätzen. Wenn er dies kann (evtl. auch durch Unterstützung von Dritten), kann er seinen Willen frei bestimmen und die sich daraus ergebenden Entscheidungen müssen so akzeptiert werden, d. h. eine gerichtlich angeordnete Betreuung hat zu unterbleiben.
Es versteht sich von selbst, dass Gutachten, die dazu führen können, dass die Freiheitsrechte des Betroffenen durch die Anordnung einer Betreuung erheblich eingeschränkt werden können, besonders strengen Maßstäben unterliegen müssen. Und zwar sowohl was den persönlichen Kontext des Betroffenen betrifft, als auch die wissenschaftlichen Ausführungen. Gefordert werden hier fundierte und wissenschaftlich begründete Sachverständigengutachten, die sich nicht nur mit den Auswirkungen der infrage stehenden Erkrankung im Allgemeinen befassen dürfen. Erforderlich ist vielmehr die genaue, persönliche Erfassung des Sachverhalts mit konkretem Bezug des Betroffenen, seiner Vorgeschichte, dem Krankheitsverlauf usw. Nur wenn das Sachverständigengutachten solide Feststellungen beinhaltet, ist es geeignet, dem Gericht als die Entscheidungsgrundlage zu dienen, die bewirkt, dass der Betroffene Einbußen in seinen Freiheitsrechten hinnehmen muss.
Susanne Kilisch
Wiss. Mitarbeiterin