Erbschleicherei ist moralisch verwerflich – aber leider nur selten mit Strafe bedroht

In der juristischen Diskussion gibt es zahlreiche und z. T. erhebliche Meinungsverschiedenheiten, wie dem Thema „Erbschleicherei“ entgegengetreten werden kann.

Einige fordern, ein Testierverbot bezüglich bestimmter Berufsgruppen und Personenkreise  auszusprechen. Damit sind also gerade diejenigen gemeint, die sich in praktischen Fällen schon als Erbschleicher ausgezeichnet haben: Betreuer,  Ärzte, Pflegepersonal, Rechtsanwälte, Bankmitarbeiter etc. Kritisch muss hierzu allerdings bemerkt werden, dass gerade die Testierfreiheit einen hohen Grundrechtschutz genießt und dass eine Einschränkung derselben eine Bevormundung des Erblassers bedeuten könnte. Denn bei der Frage der Testierfreiheit geht es letztendlich um den Schutz und die Freiheit des Erblassers und nicht der Erben.
Teilweise wird die Ansicht vertreten, Erbschleicherei könnte durch die Installation eines Genehmigungserfordernisses für die  Erbfähigkeit der genannten Personengruppen verhindert werden. Hier stellt sich dann allerdings die Frage, von wem diese Genehmigung  erteilt werden sollte (von einer Behörde oder vom Gericht) und vor allem welche konkreten Voraussetzungen diese Genehmigung haben müsste und inwieweit diese Voraussetzungen geprüft werden müssten. Wären Arztgutachten zur Testierfreiheit notwendig?
Ein anderer Denkansatz geht in die Richtung der Beweislastumkehr. Da es in Erbrechtsprozessen  extrem schwierig ist, die Testierfähigkeit des Erblassers im Nachhinein festzustellen, könnte man daran denken, den Erbschleicher vor Gericht beweisen zu lassen, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seiner Verfügung testierfähig war. Die Gerichte sind in dieser Hinsicht allerdings eher zurückhaltend.
Alles in allem erscheint es unseres Erachtens dringend notwendig zu sein, dem Problem der Erbschleicherei wirksam entgegenzutreten und zwar in einer Weise, die die Freiheit des Erblassers trotz allem so wenig wie möglich einschränkt. Denn schließlich spricht überhaupt nichts dagegen, den redlichen Betreuer / Bevollmächtigten, etc., der sich jahrelang umfassend und fürsorglich gekümmert hat, zu bedenken, während die Angehörigen evtl. völlig interessenlos waren. Die immer mehr zunehmenden Probleme in der Praxis fordern die Schaffung eines Straftatbestandes der „Erbschleicherei“.
Nachfolgend sollen einige Straftatbestände und auch zivilrechtliche Ansprüche – ohne Anspruch auf Vollständigkeit –  dargestellt werden, die im Rahmen des Verhaltensmusters „Erbschleicherei“ denkbar sind. Allerdings gilt für alle potenziell in Frage kommenden Ansprüche gegen den Erbschleicher dasselbe: Die Nachweisbarkeit vor Gericht ist schwierig.

Widerruf einer Schenkung, Rückforderung einer Zuwendung wegen groben Undanks, § 530 BGB durch den Erblasser selbst:
Der Erblasser, der noch rechtzeitig bemerkt, dass er Opfer von Manipulationen eines Erbschleichers wurde, und ihm deshalb Zuwendungen gemacht hat, kann unter den Voraussetzungen des § 530 BGB die Schenkung widerrufen. Nachzuweisen ist dem Erbschleicher in diesen Fällen eine schwere Verfehlung gegenüber dem Schenker oder eines nahen Angehörigen, mit der er sich des groben Undanks schuldig gemacht hat. Schwere Verfehlung kann in diesem Zusammenhang z. B. die grundlose Betreuerbestellung, Misshandlung, schwere Beleidigungen usw. bedeuten. Nach dem Tod des Erblassers ist der Widerruf der Schenkung durch die Erben nicht mehr möglich.
Rückforderung sittenwidriger Schenkungen §§ 812 BGB
Schenkungen des Erblassers sind dann sittenwidrig gem. § 138 BGB, wenn der Schenker sich aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur oder seines gesundheitlichen Zustandes  den Forderungen nach vermögensrechtlichen Zuwendungen nicht widersetzen kann, der Beschenkte dies gewusst hat und die fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers in eigensüchtiger Weise ausgenutzt hat. Darunter fallen auch Fälle wie Bürgschaften oder unverzinsliche Darlehen.
Betrug, § 263 StGB
Obwohl es sich für die potentiellen Erben oft anders „anfühlt“,  ist die Erbschleicherei selten wegen Betrug strafbar. Dies liegt daran, dass ein Testament  keine „Verfügung“ im Sinne des Betrugstatbestandes ist. Denn juristisch problematisch hieran ist die Frage, um wessen Vermögen es beim Betrug geht, das geschützt werden soll. Denn solange der Erblasser noch lebt, wird sein Vermögen nicht gemindert. Der Erbschleicher erbt ja erst dann und kann erst dann über das Vermögen des Erblassers verfügen, wenn dieser tot ist. Wenn der Erblasser tot ist, geht das Vermögen durch das Testament zwar auf den Erbschleicher über, dieser Vermögensübergang, bzw. diese Vermögensminderung trifft dann den Erblasser selbst aber nicht mehr, und somit ist er gar nicht geschädigt. Die gesetzlichen Erben sind durch den Betrugstatbestand gem. § 263 StGB grundsätzlich aber nicht geschützt! Dies hat zur Folge, dass der Tatbestand des Betruges auf solche Fälle oft überhaupt nicht angewendet werden kann.
Anders sieht es dann aus, wenn der Erblasser kein Testament zugunsten des Erbschleichers errichtet hatte, sondern ihm ein Vermächtnis zukommen lassen wollte. Durch das Vermächtnis  wird der Erbschleicher selbst nicht Erbe, sondern er hat einen Anspruch  gegenüber dem Erben.  Das heißt, der Erbe ist dazu verpflichtet, aus dem geerbten Vermögen den Anspruch des Erbschleichers zu erfüllen. In diesem Fall trifft die Schädigung direkt das Vermögen des Erben, ein Betrug könnte in solchen Fällen also vorliegen.
Ein Betrug auch dann denkbar sein, wenn er Erbschleicher durch Täuschung einen potenziellen Erben dazu bringt, die Erbschaft auszuschlagen.
Im Allgemeinen ziehen Erbschleicherfälle im Hinblick auf den Tatbestand des Betruges nur selten strafrechtliche Konsequenzen nach sich.
Untreue / veruntreuende Unterschlagung, §§ 246, 266 StGB
Der Missbrauchstatbestand der Untreue schützt vor dem Missbrauch einer rechtlichen Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen. Dies betrifft beispielsweise die Fälle, in denen ein Betreuer,  auf den der Aufgabenkreis der Vermögenssorge übertragen wurde oder ein Vorsorgebevollmächtigter mit entsprechender Bevollmächtigung, als Erbschleicher handeln. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die Macht besitzen, über das Vermögen des Betroffenen (Erblassers) zu verfügen.  Wenn diese Verfügungsbefugnis aber überschritten wird, kann dadurch eine Strafbarkeit wegen Untreue gegeben sein.
Veranlasst demnach ein Betreuer  oder ein Bevollmächtigter einen Testierunfähigen, durch ein Testament sich selbst oder einen Dritten als Begünstigten einzusetzen, kann dies eine Untreue darstellen.
Auch hier bestehen die praktischen Probleme vor allem darin, konkrete Nachweise erbringen zu können, in welcher Form wann und von wem genau auf den Erblasser dahingehend eingewirkt wurde – eventuell sogar unter Aufheben vorheriger Verfügungen – einen oder mehrere Erbschleicher als Erben oder Vermächtnisnehmer einzusetzen.
In diesen Zusammenhang fällt auch der Straftatbestand der Unterschlagung gem. § 246 StGB.

Freiheitsberaubung, § 239 StGB
Bei Gesamtwürdigung der Erbschleicherproblematik käme unseres Erachtens grundsätzlich auch eine Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung in Betracht. Allerdings ist für diesen Tatbestand eine Tathandlung notwendig, die einen Eingriff in die mögliche persönliche Bewegungsfreiheit zur Voraussetzung hat. Problematischerweise haben die Erbschleicherfälle  aber diffizileren Charakter.
Die Fälle, in denen der Betroffene in praktischem Sinne seiner persönlichen Freiheit beraubt wird, beispielsweise durch Einsperren, sind eher selten. Hier geht es  viel mehr darum, dass der Betroffene durch die gängigen Mittel, deren sich die Erbschleicher bedienen, wie das Ausnutzen einer hilflosen Lage, Verursachen von Angstzuständen, vom Betroffenen unbemerkte Isolation von Angehörigen und das vermeintliche „Unentbehrlichmachen“, erheblich manipuliert wird. Diese Manipulationen werden vom Betroffenen nicht bemerkt und so handelt er unbewusst ganz im Sinne des Erbschleichers in der Annahme, gar keine anderen Möglichkeiten zu haben. Es handelt sich dabei um psychische Freiheitsberaubung, die so aber nicht unter den gesetzlich definierten Begriff der Freiheitsberaubung fällt und damit nicht nach § 239 StGB bestraft werden kann.
Unserer Ansicht nach besteht hier – vor allem vor dem Hintergrund der Zunahme der Erbschleicherfälle – eine Strafbarkeitslücke.

Nötigung, § 240 StGB
Weiterhin ist in den Erbschleicherfällen eine Strafbarkeit wegen Nötigung in Betracht zu ziehen.
Erforderlich ist, dass der Täter sein Opfer mit Gewalt oder Drohung zu einer Duldung, Handlung oder Unterlassung nötigt. Bei den Erbschleicherfällen ist innerhalb der Nötigung vor allem die Drohung genauer zu betrachten. Es muss sich nicht um eine direkte Drohung im wörtlichen Sinne handeln. Eine Drohung im Sinne der Nötigung ist dann gegeben, wenn der Täter dem Betroffenen ein empfindliches Übel in Aussicht stellt, dessen Eintritt der Täter angeblich beeinflussen kann. Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Wertverlust für den Betroffenen darstellt und dieser Wertverlust für den Betroffenen so groß ist, dass er sein Verhalten deshalb danach bestimmt. Dabei kommt es darauf an, wie diese Zwangswirkung subjektiv bei dem Betroffenen wirkt. Ob für den Täter die Realisierbarkeit des Übels tatsächlich gegeben ist, spielt keine Rolle.
In Betracht kommt damit das typische Verhalten von Erbschleichern, die den Betroffenen suggerieren,  kein anderer würde sich um sie kümmern und ohne ihre Hilfe und Unterstützung würden sie in Zukunft nicht ausreichend versorgt werden etc. – bei gleichzeitiger Ausgrenzung der Angehörigen oder anderen vertrauten Personen leider ein ziemlich wirkungsvolles Mittel. Hilflose und geschwächte Betroffene befinden sich damit sehr schnell in einer Zwangslage. Sie handeln nach dem Willen des anderen – und setzen ihn (gegen ihren freien Willen)aus „Dankbarkeit“ als Erben oder Vermächtnisnehmer ein.

Susanne Kilisch
Wiss. Mitarbeiterin

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