Die vom Gericht zu treffenden Feststellungen, ob der Betroffene in einem Betreuungsverfahren einen freien Willen bilden kann müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein.
Dies hat der BGH in einer aktuellen Entscheidung festgestellt, BGH, Beschl. v. 30.07.2014, AZ: XII ZB 107/14.
Es ging dabei darum, dass für einen Betreuten eine wesentliche Betreuungserweiterung eingerichtet wurde, ohne ein erneutes Sachverständigengutachten hinsichtlich der Fähigkeit des Betreuten, einen eigenen freien Willen zu bilden, einzuholen. Das Betreuungsgericht hatte seine Entscheidung auf ein Gutachten gestützt, welches älter als 2 Jahre war. Der BGH hat dies für nicht ausreichend erachtet.
Grundsätzliches zur Betreuungserweiterung:
Wenn es sich um einen Fall handelt, in dem für die ursprüngliche Einrichtung der Betreuung und die entsprechenden Aufgabenkreise ein Sachverständigengutachten ordnungsgemäß eingeholt wurde und nun die Betreuung auf zusätzliche Aufgabenbereiche erweitert werden soll, darf nicht pauschal auf das früher eingeholte Sachverständigengutachten zurückgegriffen werden. Eine solche Verfahrenserleichterung ist zwar grundsätzlich möglich. Es bedeutet jedoch wiederum einen verstärkten Eingriff in die Rechte des Betreuten. Deshalb ist es allenfalls unter den Voraussetzungen des § 293 Abs. 2 FamFG möglich, auf die erneute Anhörung und die erneute Einholung eines Sachverständigengutachtens zu verzichten:
Das Gutachten und die Anhörung des Betroffenen dürfen nicht länger als 6 Monate zurückliegen oder die beabsichtigte Erweiterung darf nicht wesentlich sein.
Es kommt also maßgeblich darauf an, ob die angestrebte Betreuungserweiterung eine „wesentliche“ Erweiterung ist.
Unter den Begriff „wesentliche“ Erweiterung in diesem Sinne fallen bspw. die erstmals ganz oder teilweise angeordneten Aufgabenkreise der Personensorge. Gemeint sind damit die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufsicht über den Betroffenen, Aufenthaltsbestimmung, Umgangsbestimmung, Herausgabe des Betreuten, Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, Sozialhilfeanträgen, Ehe- und Kindschaftssachen.
Außerdem liegt eine wesentliche Erweiterung vor, wenn es um die Anordnung der Aufgabenkreise Fernmelde- und Postangelegenheiten, Entscheidungen über Einwilligung in risikoreiche ärztliche Maßnahmen, Entscheidungen über die Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnahmen geht. Weiterhin wird von einer wesentlichen Erweiterung ausgegangen, wenn der Aufgabenkreis um die gesamte Vermögenssorge erweitert werden soll.
Bei der wesentlichen Erweiterung kann nur in absoluten Ausnahmefällen von der Einholung eines neuen Gutachtens abgesehen werden.
Wenn feststeht, dass es sich um eine „unwesentliche“ Erweiterung der Aufgabenkreise handelt, können die Verfahrenserleichterungen des § 293 Abs. 2 FamFG greifen und es kann evtl. von der Einholung eines neuen Gutachtens abgesehen werden.
Eine unwesentliche Erweiterung liegt dann vor, wenn der weitere Aufgabenkreis entweder zur Erledigung der bereits bestimmten Aufgaben notwendig ist, oder er derart eng mit diesen verbunden ist, dass die Erweiterung schon in der ersten Anordnung der Aufgabenkreise angelegt war. Unter unwesentliche Erweiterung kann auch fallen, wenn die Kontrolle hinsichtlich eines Vorsorgebevollmächtigten eingerichtet werden soll.
Hinsichtlich der Vermögenssorge wird eine unwesentliche Erweiterung dann angenommen, wenn es um einzelne, abgrenzbare Teile der Vermögenssorge geht.
Susanne Kilisch
Wiss. Mitarbeiterin