Fehlender persönlicher Kontakt eines Betreuers zu der Betroffenen – Pflichtverletzung, Respektlosigkeit und Verletzung der Menschenwürde
Eine besonders interessante und vor allem praxisrelevante Entscheidung, die einer großen Zahl von Betreuern „auf die Füße fallen“ dürfte, hat das LG Siegen mit Beschluss vom 04.09.2018 (AZ: 4 T 124/18) getroffen.
Es geht dabei um die Frage, wie häufig ein Betreuer den Betreuten persönlich kontaktieren muss. Dieses Thema ist immer wieder Streitpunkt zwischen Betreuern, Betreuten und Angehörigen. Die Dunkelziffer der Fälle, die hinsichtlich des Mangels an persönlichem Kontakt bestehen, dürfte sehr hoch sein, da nicht alle Betroffenen über Angehörige oder Vertrauenspersonen verfügen, die sich überhaupt darum kümmern, wie gut oder schlecht die Betreuung für einen krankheitsbedingt wehrlosen Betroffenen geführt wird.
Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben dazu, wie oft ein Betreuer den ihm anvertrauten Betreuten besuchen muss. Einigkeit herrscht insoweit, dass Betreute, die dauerhaft in einer Einrichtung untergebracht sind, von Betreuern weniger persönlich besucht werden müssen, als diejenigen, die allein in einer Wohnung leben. Aus der Kommentarliteratur geht hervor, dass eine gewisse Erwartungshaltung bezüglich des persönlichen Kontakts besteht, die sich jeweils am Einzelfall orientiert. Einige Stimmen verlangen eine Herstellung des persönlichen Kontakts mindestens einmal im Monat.
In dem zitierten Fall ging es um eine psychisch schwer kranke 64jähre Betroffene, die zusätzlich an Krebs im Frühstadium erkrankt und seit Jahren in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht ist. Der Betreuer besuchte sie mindestens über einen Zeitraum von 1 Jahr überhaupt nicht. Um seinen Pflichten nachzukommen beschränkte er sich darauf, ab und zu mit dem Ehemann der Betroffenen und dem Leiter des Pflegeheims zu telefonieren. Bei der Abgabe des jährlichen Berichts fiel dem Betreuungsgericht auf, dass der Betreuer die Betroffene überhaupt nicht besuchte und erteilte ihm eine verbindliche Anweisung, künftig im Abstand von nicht mehr als sechs bis acht Wochen persönlichen Kontakt zu der Betroffenen aufzunehmen. Gegen diese gerichtliche Weisung legte der Betreuer Beschwerde ein mit der Begründung
er telefoniere mit dem Ehemann und dem Leiter der Pflegeeinrichtung,
das Pflegeheim sei durch den MDK mit der Note „sehr gut“ bewertet worden und
in Anbetracht der seit 13 Jahren gleichbleibenden Betreuervergütung sei für ihn höchstens alle 4 Monate ein persönlicher Kontakt denkbar!
Das Landgericht erteilte diesen Argumenten in jeder Hinsicht eine deutliche Absage.
Zum einen weist es den Betreuer auf die – eigentlich offensichtliche – Selbstverständlichkeit hin, dass er in erster Linie dazu verpflichtet ist, sich um das Wohl und die Interessen der Betroffenen zu kümmern. Um den entsprechenden Handlungsbedarf überhaupt ermitteln zu können, liegt es auf der Hand, dass Betreuer sich in regelmäßigen Abständen von dem Zustand und den Lebensumständen der Betroffenen persönlich ein Bild machen müssen. Dabei dürfen Betreuer sich selbstverständlich nicht auf die Aussagen Dritter verlassen:
Was den Ehemann angeht – wie oft besucht er die Betroffene tatsächlich, inwieweit ist er in der Lage, den Pflegezustand zu beurteilen, wie wichtig ist ihm das Wohl der Betroffenen?
Ebenso verhält es sich mit dem Leiter der Einrichtung – wird er objektiv Pflegemängel zugeben?
Die Qualitätsnote des MDK ist ebenfalls kein Kriterium, den Zustand der Betroffenen einzuschätzen. Die allermeisten Pflegeheime werden inzwischen mit den Durchschnittsnoten „sehr gut“ oder „gut“ bewertet. Dieses Bewertungssystem wird seit langer Zeit heftig kritisiert und ist spätestens seit in einer Einrichtung, die mit „sehr gut“ bewertet wurde, Menschen in ihrem eigenen Kot ohne Wechselwäsche und wochenlang ungewaschene und unterernährte Patienten vorgefunden wurden, absurd. Die Politik kommt bei der Einführung neuer Bewertungssysteme nur schleppend voran.
Der Gipfel der Respektlosigkeit und Pflichtwidrigkeit ist das Argument des Betreuers, die Bezahlung sei zu schlecht und er könne höchstens alle 4 Monate persönlich vorbeikommen. Insbesondere vor dem Hintergrund der festgestellten Krebserkrankung der Betroffenen ist er dazu verpflichtet, die Behandlung derselben engmaschig zu überwachen und zu organisieren.
Die gerichtliche Weisung an den Betreuer, die Betroffene spätestens alle 6 bis 8 Wochen persönlich aufzusuchen, blieb damit in Kraft und der Betreuer wird sich künftig daran halten müssen.
02.10.2019