Die Funktion und praktische Anwendung des Betreuungsrechts basiert in zahlreichen Fällen auf der Klärung einer der schwierigsten Fragen:
Ist der Betroffene in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen?
Denn von der Antwort auf diese Frage hängt es im Einzelfall ab, wie in einem Betreuungsverfahren ab diesem Zeitpunkt weiter verfahren wird.
Zunächst soll an dieser Stelle – um Missverständnissen vorzubeugen – darauf hingewiesen werden, dass natürlich nicht in jedem Betreuungsfall überhaupt Anlass besteht, sich darüber Gedanken zu machen, ob der Betroffene seinen Willen frei bilden kann oder nicht. Stellt z. B. ein Betroffener selbst einen Antrag auf Betreuung oder kommt ein körperlich behinderter Mensch mit diesem Anliegen auf das Gericht zu, weil er ohne Hilfe von außen seine Angelegenheiten nicht besorgen kann, wird sich je nach Lage des Falles, voraussichtlich niemand mit der Frage beschäftigen, ob er seinen Willen frei bestimmen kann.
Eine der grundlegendsten Bestimmungen im Betreuungsrecht ist § 1896 Abs. 1a BGB: Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden.
Diese Vorschrift soll garantieren, dass das Recht jedes Menschen, sein Leben nach eigenen, subjektiven Vorstellungen eigenständig und eigenverantwortlich zu verbringen, gewahrt wird. Nun ist es in der Praxis aber häufig so, dass gerade geistig oder psychisch Kranke, für die nach objektiven Maßstäben eine Betreuungseinrichtung eigentlich sinnvoll und notwendig wäre, sich mit „Händen und Füßen“ dagegen wehren. Genau hier gilt es dann festzustellen, ob diese Weigerung, eine Betreuung für sich zu akzeptieren, auf dem freien Willensentschluss des Betroffenen beruht. Wenn ja, gilt folglich § 1896 Abs. 1a BGB, d. h., dass das Gericht in der Tat diesen Entschluss akzeptieren muss und eine Betreuung nicht eingerichtet werden darf. Alles andere wäre gegen die grundrechtlich geschützte Würde und gegen die Freiheitsrechte des Menschen.
Wenn der Betroffene aber so angesehen wird, dass er nicht zu einer freien Willensbildung fähig ist, und zwar aufgrund einer festgestellten psychischen Erkrankung, geistigen oder seelischen Behinderung, dann wird – bei Vorliegen der Voraussetzungen – über die Ablehnung des Betroffenen hinweggesehen und es wird gegen seinen geäußerten Willen eine Betreuung für ihn eingerichtet. Besonders problematisch ist dieses Thema oft bei Suchtkranken. Die Frage, ob und wann eine Suchterkrankung als geistige oder seelische Behinderung oder psychische Krankheit angesehen werden kann, ist in Fachkreisen umstritten.