Pflichtteilsanspruch kann Insolvenzmasse entzogen sein

Bei einer Privatinsolvenz kann in bestimmten Konstellationen ein Pflichtteilsanspruch des Schuldners nicht zur Nachlassmasse gezogen werden. Über das Vermögen der Schuldnerin, deren Vater im Jahr 2001 verstarb, wurde am 30.06.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Steuerberater als Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 30.11.2005 aufgehoben und der Schuldnerin die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt. Die Wohlverhaltensperiode sollte zum 30.06.2011 enden. Die Schuldnerin schloss im Jahr 2009 mit ihrer Stiefmutter einen Vergleich über den Pflichtteil nach ihrem verstorbe¬nen Vater in Höhe von 6.328,05 €. Sie teilte dem Insolvenzverwalter mit, dass sie diesen Betrag am 10.06.2009 erhalten hatte. Dieser forderte sie auf, den Gesamtbetrag in die Masse einzuzahlen. Die Schuldnerin kam dem jedoch nicht nach, weshalb das Amtsgericht mit Beschluss vom 03.09.3009 gem. § 203 InsO die Nachlassverteilung hinsichtlich der Pflichtteilsansprüche anordnete und der Schuldnerin verbot, über diese Ansprüche zu verfügen. Die Schuldnerin zahlte daraufhin die Hälfte der Pflichtteilssumme an den Treuhänder und griff den Beschluss des Amtsgerichts mit der sofortigen Beschwerde an. Sie gab an, vom Tode des Vaters im Jahr 2001 erst 2006 erfahren zu haben, zudem könnten nur 50 % des Pflichtteils der Masse hinzugezogen werden. Die Beschwerdekammer gibt der sofortigen Beschwerde statt. Da die Nachtragsverteilung nur dann anzuordnen ist, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände ermittelt werden, welche zur Insolvenzmasse gehören, verneint das Landgericht die Voraussetzungen des § 203 I Nr. 3 InsO. Gemäß § 35 InsO ist nur dasjenige Vermögen dazuzurechnen, welches dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nur wenn Pflichtteilsansprüche bei Verfahrenseröffnung anerkannt oder rechtshängig waren, werden diese Bestandteil der Masse, § 852 ZPO analog. Der Pflichtteil fällt nur dann in die Insolvenzmasse, wenn er pfändbar ist, auch wenn er bereits mit dem Erbteil entsteht (§ 2317 BGB). Erst wenn der Pflichtteilsanspruch anerkannt oder rechtshängig ist entsteht die Pfändbarkeit. Bei dem Pflichtteilsanspruch der Schuldnerin fehlte es an einer Rechtshängigkeit bzw. an einem ent¬sprechenden Anerkenntnis, als am 30.06.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und am 30.11.2005 beendet war. Der Pflichtteilsanspruch fällt mangels Pfändbarkeit nicht in die Insolvenzmasse und war daher nicht im Rahmen der Nachtragsverteilung gem. § 203 InsO zu berücksichtigen. Die Schuldnerin machte erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens den Anspruch geltend. Daher war die vom Amtsgericht am 03.09.2009 angeordnete Nachlassverteilung aufzuheben, wobei das Landgericht Göttingen darauf hinweist, dass die Obliegenheitspflicht der Schuldnerin nach § 295 I Nr. 2 InsO von der Beschwerdeentscheidung unberührt bleibt. Ein im Insolvenzverfahren befindlicher Schuldner kann nicht dazu verpflichtet werden, einen Pflicht¬teilsanspruch geltend zu machen, um den Erlös der Masse zuzuführen. Der Verzicht auf die Geltendmachung stellt auch keine Obliegenheitsverletzung des Schuldners nach § 295 I Nr. 2 InsO dar. Landgericht Göttingen, Beschluss vom 26.10.2009, Az: 10 T 86/09

Tanja Stier

Rechtsanwältin

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