Umdenken im Betreuungsrecht international

In Deutschland gibt es keine automatische gesetzliche Stellvertretung für erwachsene Angehörige, also etwa für Ehegatten, eingetragene Partner oder Familienangehörige. Wer hier dafür Sorge tragen möchte, dass z. B. der Ehegatte für den Krankheitsfall stellvertretungsbefugt sein soll, muss dies durch eine rechtzeitige Vollmacht in die Wege leiten.
In anderen Ländern gibt es diese gesetzlichen Regelungen der Angehörigenvertretung. Das heißt, dass dort für bestimmte Lebensbereiche kraft Gesetzes eine Vertretung für die nicht mehr handlungsfähigen Betroffenen stattfindet.

So sind z. B. in Österreich die nächsten Angehörigen vertretungsbefugt. Gemeint sind damit die im gleichen Haushalt lebenden Ehegatten und eingetragenen Partner, die Eltern, die Kinder und die seit mind. 3 Jahren im gleichen Haushalt lebenden Lebensgefährten (!). Mit dem Verlust der Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen tritt hier die Vertretungsbefugnis der o. g. Personen automatisch ein. Davon umfasst sind Rechtsgeschäfte, die den jeweiligen Lebensverhältnissen entsprechen, Rechtsgeschäfte zur Deckung des Pflegebedarfs, Geltendmachung von Ansprüchen gegen Dritte und die Zustimmung zu nicht schwerwiegenden medizinischen Behandlungen. Dieses System kann zumindest als unkomplizierter angesehen werden als das deutsche, gerade weil es im Kern darum geht, die üblichen Lebensverhältnisse innerhalb der Familie oder Partnerschaft ohne bürokratischen, verwaltungsrechtlichen Aufwand und vor allem ohne Fremdbestimmung von außen aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Allerdings kommt es hier in der Praxis ebenfalls zu Problemen. Oft sind die Vertreter mit der Fülle der Entscheidungen, die es zu treffen gibt, überfordert. Denn eine gerichtliche Unterstützung oder Kontrolle ist nicht grundsätzlich vorgesehen. Es gibt lediglich die Möglichkeit z. B. wegen des Verdachts von Missbrauch der Vertretungsmacht bei Gericht sog. Sachwalterschaftsverfahren anzuregen.
Um die Betroffenen und Angehörigen besser zu unterstützen, ohne jedoch dann doch wieder die Gerichte und Behörden in Anspruch zu nehmen, gibt es in Österreich ein unserer Meinung nach vielversprechendes Modellprojekt. Dabei geht es darum, sogenannte „Unterstützungskreise“, eine Art „Familienrat“ zu bilden, die dann in regelmäßigen Besprechungen durch professionelle Hilfe von Sozialarbeitern, Rechtsanwälten, Ärzten oder Pflegekräften (je nach Bedarf) dabei unterstützt werden, entsprechende Problemlösungen zu entwickeln. In solchen „Meetings“ kann direkt und individuell auf die Belange und Wünsche der Betroffenen – die wenn möglich ebenfalls mit anwesend sind – eingegangen werden. Nach Absprache können die beschlossenen Maßnahmen dann in bestimmten Zeitabständen von den professionellen Unterstützern kontrolliert, bzw. begutachtet und verbessert werden.
Des Weiteren existiert in Österreich die Rechtsfigur der „Vertrauensperson“. Diese Person wird ausschließlich vom Betroffenen benannt und ist automatisch mit bestimmten Rechten ausgestattet. Dies ist nicht zu verwechseln mit einem Bevollmächtigten, der durch Vorsorgevollmacht bestimmt wird. Für die Benennung einer Vertrauensperson in diesem Sinne ist nicht notwendig, dass der Betroffene noch voll geschäftsfähig ist. Diese Vertrauensperson hat kraft Gesetzes umfassende Rechte, die dem Schutz des Betroffenen dienen. Dies sind z. B. Informationsrechte wenn es um die Unterbringung in einem Pflegeheim geht. Der Heimträger ist zur Auskunft gegenüber der Vertrauensperson verpflichtet und z. B. bezüglich der Anordnung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (Fixierungen, Medikamentengabe etc.). Außerdem kann die Vertrauensperson gerichtliche Überprüfungen beantragen und ist auch zu den entsprechenden Verhandlungen zu laden. Diese Vertrauensperson übernimmt somit unbürokratisch Tätigkeiten, die ansonsten originär dem Betreuer oder Sachwalter zufallen würden. Diese Möglichkeit findet durch die Einfachheit des Verfahrens in der Praxis großen Anklang.
In der Schweiz beispielsweise gibt es ebenfalls die Stellvertretung kraft Gesetzes für die Ehegatten, eingetragene Partner und Angehörige für Geschäfte im Rahmen der üblichen Lebensverhältnisse. Allerdings muss dort, wenn es um außerordentliche Vermögensverwaltung geht, die Zustimmung der Erwachsenenbehörde eingeholt werden. Bei medizinischen Belangen ist der stellvertretungsberechtigte Personenkreis sogar noch weiter ausgedehnt. Hier sind zusätzlich auch die Personen vertretungsbefugt, die mit den Betroffenen zusammen einen Haushalt führen und ihnen regelmäßig und persönlich Beistand leisten.
Auch in Norwegen gibt es die gesetzliche Vertretungsbefugnis, die im Wesentlichen die Geschäfte des täglichen Lebens umfasst. Vertretungsberechtigt sind auch hier zuerst der Ehegatte oder eingetragene Partner, Kinder, Enkel und dann die Eltern. Wenn diese gesetzliche Vertretung von vornherein nicht gewünscht ist, muss rechtzeitig eine wirksame Vorsorgevollmacht für eine andere Person erstellt werden.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Gefahr von missbräuchlichem Verhalten innerhalb einer Stellvertretung grundsätzlich immer möglich ist, egal ob es sich nun um eine Stellvertretung für Familienangehörige kraft Gesetzes oder durch Vorsorgevollmacht oder durch gesetzliche Betreuung/Sachwalterschaft handelt. Wenn die eigene Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist und die Hilfe und Unterstützung von Dritten notwendig ist kann es immer zu Konflikten und Missverständnissen kommen. Trotzdem gibt es inzwischen eine breite Basis, die erkannt hat, wie wichtig und wünschenswert es für die Betroffenen ist, auf rechtlicher Ebene die Beschränkungen der Handlungsfähigkeit der Betroffenen insgesamt aufzulockern und im Gegenzug dafür Unterstützungsmöglichkeiten innerhalb des Betreuungsrechts aufzuzeigen und zu fördern. Dies ist auch die Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention, die es sich zum Ziel gesetzt hat, diese Betroffenen in die Gesellschaft wirklich besser zu integrieren.

Susanne Kilisch
Wiss. Mitarbeiterin

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