Betreuungsrecht in der Ukraine

1. Gesetzliche Regelung

Das Betreuungsrecht in der Ukraine wird im Wesentlichen im Abschnitt VI (§§ 55 – 75) des Bürgerlichen Gesetzbuches der Ukraine (weiter BGBU) und in den Verordnungen über Vormundschaft und Betreuung geregelt.

In der Ukraine sowie in Deutschland besteht keine gesetzliche Stellvertretung durch Familienangehörige, Ehepartner oder Verwandte. Gem. § 63 IV BGBU wird ein Vormund oder ein Betreuer vorzugsweise aus dem Kreis der Familienangehörigen und Verwandten mit der Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen und Fähigkeiten, ihre Aufgaben als Vormund oder Betreuer wahrnehmen zu können, ausgesucht. Seit dem Jahr 2006 hat ein vom Gericht bestellter Vormund oder Betreuer einen Anspruch auf Vergütung.

2. Formen

Die gesetzlichen Vorschriften sehen drei Formen der Betreuung vor.

2.1. Vormundschaft

Die erste Form ist die Vormundschaft. Ein Vormund wird vom Gericht in den folgendenFällen bestellt:

1. rechtliche Fürsorge einer unmündigen Person;

2. Geschäftsunfähigkeit einer volljährigen Person.

Laut § 39 BGBU kann ein Gericht eine Person als geschäftsunfähig erklären und ihr einen Vormund aussuchen. Die Gründe dafür sind eine psychische Krankheit oder eine geistige bzw. seelische Behinderung, die zur Unfähigkeit, ihre Angelegenheiten ganz allein regeln zu können, führen.

Ein vom Gericht bestellter Vormund handelt damit als gesetzlicher Vertreter des Mündels. Er handelt im Aufgabenkreis, der vom Gericht festgelegt wird, für den Betroffenen. Ein gesetzlicher Vertreter wird zur Regelung der personenrechtlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten berechtigt. Eine Vermögenssorge umfasst die Verwaltung von Vermögen und Finanzen, die Geltendmachung von Rentenansprüchen und die Schuldentilgung.

2.2. Betreuung

2.2.1. Betreuung einer geschäftsfähigen Person

Wenn eine volljährige geschäftsfähige Person auf Grund einer Krankheit oder einer körperlichen Behinderung ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, so bestellt das Betreuungsamt auf ihren Antrag einen Betreuer für sie.

Eine solche rechtliche Betreuung kann ausschließlich auf einen Antrag des Pflegebedürftigen rechtskräftig beurkundet werden. Der Antrag setzt einen Willen voraus, dass der Antragssteller tatsächlich eine Bestellung eines Betreuers beabsichtigt. Der Antrag ist beim örtlichen Betreuungsamt, der einen Teil der örtlichen Verwaltung bildet, einzureichen.

Ein staatlicher Betreuer wird in einem Pflegefall vom Gericht auf Antrag des Betreuungsamts nur dann bestellt, wenn:

1. die Verwandten die Betreuung verweigern;

2. eine finanzielle oder persönliche Interessenkollision besteht.

Der vom Gericht bestellte gesetzliche Betreuer handelt im Rahmen der ihm zugewiesenen Wirkungskreise für den Betroffenen und hat als Aufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen, sodass der Betreute ein möglichst selbständiges Leben führen kann, wie es die persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten zulassen. Betreute werden durch eine Betreuung nicht entmündigt, bevormundet oder gar entrechtet.

2.2.2 Betreuung der beschränkt geschäftsfähigen Personen

Gem. §36 BGBU kann ein Gericht die Geschäftsfähigkeit einer volljährigen Person beschränken, wenn sie auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen bzw. seelischen Behinderung teilweise unfähig ist, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.

Andere taugliche Gründe sind Alkohol- und Drogenabhängigkeit und Spielsucht, wenn die Person sich selbst oder ihre Familienangehörige dadurch in eine schwierige finanzielle Lage versetzt.

3. Missbrauch der Vollmacht durch Vormund oder Betreuer

Ein vom Gericht bestellter Vormund oder Betreuer ist grundsätzlich dem Betreuungsamt gegenüber verantwortlich, wird vom Betreuungsamt beaufsichtigt und muss regelmäßig Rechenschaft ablegen. §167 Strafgesetzbuch der Ukraine (weiter SGBU) ordnet eine strafrechtliche Ahndung für einen Missbrauch der Vollmacht durch einen Vormund oder einen Betreuer an. Ein Missbrauch der Vollmacht mit eigennützigen Zielen – z.B. Verwertung des Vermögens, Wohnflächenbenutzung und andere Missverhältnisse, die den Interessen des Betreuten oder Mündels widersprechen können mit einer Geldstrafein Höhe von 100000 bis 321900 Hryvnias (ca. 10000 bis 30000 Euro) oder bis zu zwei Jahren Inhaftierung bestraft werden.

Laut der Statistik wurden in den Jahren 2005 – 2012 insgesamt 135 solche Straftaten (§167 SGBU) in der Ukraine registriert.

4. Gefahr des Missbrauchs

Ein Vormund oder ein Betreuer wird vorzugsweise aus dem Kreis der Familienangehörigen und Verwandten mit der Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen und Interessen des Betreuten und Mündels ausgesucht, trotzdem besteht die Gefahr eines Missbrauchs der Vollmacht. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es um eine künftige Erbschaft oder andere finanzielle Interessen der Familienangehörigen geht.

In der Praxis sind die Fälle einer rechtswidrigen freiheitsentziehenden Unterbringung einer beschränkt geschäftsfähigen oder geschäftsunfähigen Person nicht selten. Viele davon werden nicht angezeigt. Allgemein ist ein Antrag des Betreuers auf eine Freiheitsentziehung zum Zwecke einer Heilbehandlungzulässig, wenn der Betreute an einer psychischen Krankheit oder Behinderung leidet. Dafür wird ein ärztliches Gutachten benötigt, aufgrund dessen ein Gericht eine freiheitsentziehende Unterbringung anordnen kann. Alle Vermögenverhältnisse werden dann durch einen vom Gericht bestellten Vormund oder Betreuer geregelt. Trotz der Beachtung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Anordnung besteht die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und eines erheblichen Eingriffs in die grundgesetzlich garantierte Freiheit (Art. 29 Verfassung der Ukraine) und andere Grundrechte.

Ein Vormund oder Betreuer kann auch andere verschiedene Befugnisse bekommen. Wenn von der Kommunikation erhebliche Gefahren für den Betroffenen ausgehen, kann das Gericht dem Vormund oder Betreuer gestatten, den Fernmeldeverkehr des Betroffenen kontrollieren zu dürfen, die Post zu öffnen und anzuhalten. Eine solche Anordnung kann oft einen Eingriff in die Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis (Art. 31 Verfassung der Ukraine) darstellen.

Allenfalls kann gegen eine gerichtliche Entscheidung eine Berufung zu deren Überprüfung durch ein übergeordnetes Gericht eingelegt werden. Antragsberechtigte Beteiligte können hierfür nach den Umständen selbst der Betroffene, das Betreuungsamt, Verwandte, Familienangehörige des Betroffenen und andere Personen sein.

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