Betreuungsrecht in Österreich – Auch hier gibt es genügend Anlass zu Kritik

Auch in Österreich gibt es zahlreiche, zum Teil schockierende Missbrauchsfälle im Bereich des Betreuungsrechts. Dabei ist das Spektrum der Rechtsverletzungen weit gefächert, angefangen bei der Verletzung von Verfahrensrechten bis hin zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Die Gründe dafür liegen unter anderem am System.
Im österreichischen Recht werden von den Gerichten nicht Betreuer zur Erfüllung der staatlichen Fürsorgepflicht hinsichtlich schutzbedürftiger Erwachsener eingesetzt, sondern sogenannte Sachwalter. Die Rechte und Pflichten der Sachwalter sind mit denen des Betreuers nach deutschem Recht inhaltlich im Großen und Ganzen vergleichbar.
Wie in Deutschland auch sollen die Sachwalter im Idealfall Familienangehörige sein, die sich um die Betroffenen kümmern.
Darüber hinaus gibt es in Österreich auch öffentlich finanzierte Sachwaltervereine, bestehend aus Sozialarbeitern, Psychologen und Juristen, die – jeweils im Team – die Betroffenen betreuen. Nur wenn es um rechtliche Dinge geht, soll ein Rechtsanwalt als Sachwalter eingesetzt werden, hingegen nicht, wenn es um die alltägliche Organisation des Alltags geht. Angesichts der auch in Österreich immer weiter ansteigenden Zahl von Sachwalterschaften sind die Sachwaltervereine allerdings längst an ihren Kapazitätsgrenzen angekommen. Auch Angehörige, die sich zur Übernahme bereit erklären, finden sich immer seltener.
Dies führt dazu, dass zwangsläufig doch immer mehr Sachwalterschaften auf Rechtsanwälte übertragen werden, was angesichts der daraus resultierenden Bedeutung für die Betroffenen immer mehr auf Kritik stößt.
Es liegt auf der Hand, dass, Anwälte, die teilweise mehrere hundert Sachwalterschaftsverfahren bearbeiten, keinen, bzw. wenig persönlichen Kontakt zu den dahinter stehenden Betroffenen haben. Diese werden also – jedenfalls aus Sicht des Sachwalters – gezwungenermaßen nüchtern „verwaltet“ , ohne persönlichen Kontakt oder Eingehen auf die persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen.  Dies trifft vor allem auf große Anwaltskanzleien, die sich auf das Geschäft mit der Sachwalterschaft spezialisiert haben, zu. Der Ablauf sieht dabei so aus, dass nur einzelne Anwälte als Sachwalter vom Gericht bestimmt werden. Um die Verwaltung und die Organisation der Leben, die dahinter stehen, kümmern sich zahlreiche Mitarbeiter der Kanzleien, beim Sachwalter selbst laufen dann nur noch die „Fäden“ zusammen. Dieser Praxis kann man immerhin zugute schreiben, dass solche Großkanzleien auch in der Lage sind, als Mitarbeiter geschultes Personal einzustellen, Sozialpädagogen beispielsweise oder Mitarbeiter bis besonderer Erfahrung auf dem Gebiet „Pflege“ usw.
Andererseits schockiert der Gedanke, wie hier mit den einzelnen Menschenleben umgegangen wird. Einer derartigen Massenabfertigung, ohne Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse, möchte niemand in Krankheit oder im Alter ausgeliefert sein.
Aber das Problem ist hausgemacht: Ursprünglich war im österreichischen Gesetz vorgeschrieben, dass ein Sachwalter die Höchstzahl von 25 Klienten nicht überschreiten darf. Außerdem schreibt das Gesetz vor, dass der Sachwalter seine Klienten einmal im Monat besuchen muss.
Diese ehrgeizigen Ziele waren (sind) realitätsfern und in Zukunft noch weniger zu erreichen.
Um der Lage Herr zu werden wurde das Gesetz inzwischen dahingehend geändert, dass der „Staat nur noch „vermutet“, dass der Sachwalter nicht mehr als 25 Sachwalterschaften übernehmen kann.“  Das heißt im Klartext, die Höchstzahl von 25 Sachwalterschaften pro Rechtsanwalt gibt es nicht mehr. Erreicht wurde diese Gesetzesänderung auch dadurch, dass die Gerichte und Rechtsanwälte sich regelmäßig (und notgedrungen) über die Höchstzahl von 25 Sachwalterschaften hinweg setzten und die Begrenzung ignorierten. Auf diese Weise wurde das Gesetz den quantitativen Bedürfnissen im Sachwalterschaftsrecht angepasst. So kommt es zu den oben beschriebenen Großkanzleien.
Natürlich tragen auch finanzielle Aspekte erheblich zu der aktuellen Situation bei. Sachwalterschaft ist längst zum Geschäft geworden. Das Vergütungssystem der Rechtsanwälte als Sachwalter besteht in einer Art Provisionsberechnung. Danach ist das regelmäßige Einkommen und das Vermögen des Betroffenen entscheidend dafür, wieviel der Sachwalter verdient. Verwaltet er reiche „Klienten“, verdient er viel, bei Betroffenen, die kein Geld haben, verdient er weniger. Der Sachwalter erhält im Jahr bis zu 5 % Provision des Nettoeinkommens des Betroffenen und 2 % des Vermögens des Betroffenen, wenn es 10.000 Euro übersteigt.
Daraus ergibt sich auch, dass die großen Kanzleien, die sich auf Sachwalterschaft spezialisiert haben, darauf angewiesen sind, ob und welche Verfahren sie von den Gerichten zugewiesen bekommen. Es scheint „etablierte“, feste Strukturen und Verteilungsmechanismen zu geben, nach denen die Verfahren vergeben werden. Es sorgt die richtige Mischung aus „vermögenslose Alkoholiker gegen gutsituierte Pensionäre“ für den richtigen Profit. Dabei können sich die Kanzleien, die sich in einer Region nach und nach etabliert haben, überwiegend in Sicherheit wiegen. Denn die meisten Gerichte wissen sowieso nicht wohin mit den vielen Fällen, und sind dementsprechend froh, wenn sie die Betroffenen überhaupt „an den Mann“ bringen. So kommt es, dass sich ein Richter schon einmal dahingehend äußert, dass er „dem Anwalt, dem er einen vermögenslosen Drogenabhängigen übertragen hat, nächstes Mal einen „reichen“ Klienten überträgt“.
Was bleibt ist die – für die Betroffenen – wichtigte Frage: Was bedeutet dieses System für die Qualität ihrer Betreuung, der Sachwalterschaft?

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