Ärztliche Zwangsmaßnahmen – Behandlung muss notwendig und geeignet sein – breiter medizinischer Konsens erforderlich

Wenn ein zivilrechtlich in einer stationären Einrichtung untergebrachter Betreuter nicht einwilligungsfähig ist, kann an seiner Stelle der Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Die Einwilligung des Betreuers ist dann möglich, bzw. genehmigungsfähig, wenn alle in § 1906a Abs. 1 S. 1 BGB aufgezählten Voraussetzungen vorliegen.

Hintergrund der gesetzgeberischen Ausgestaltung dieser Voraussetzungen ist, dass es sich bei einer Zwangsbehandlung wegen des mit ihr verbundenen erheblichen Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen nur um das letzte mögliche Mittel handeln darf.

Die Anwendung dieses letzten Mittels kommt insbesondere in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung und nur bei Betroffenen in Betracht, die aufgrund psychischer Krankheit oder geistiger oder seelischer Behinderung selbst nicht einwilligungsfähig sind.

Außerdem erfordert der mit einer Zwangsbehandlung regelmäßig verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes:

1.

a)

Dazu gehört, dass die geplante Maßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein muss, um einen drohenden erheblichen Schaden von ihm anzuwenden (§ 1906a Abs. 1, S. 1 Nr. 1 BGB). Diese Notwendigkeit liegt dann vor, wenn eine medizinische Indikation für genau diese Maßnahme wie auch für die ggf. zwangsweise Durchführung feststeht. Die Notwendigkeit der Maßnahme beurteilt sich nach objektiven, evidenzbasierten Kriterien und ist nicht von einer subjektiven Betrachtungsweise des behandelnden Arztes abhängig. Die Behandlung muss im Hinblick auf die konkrete Erkrankung des Betroffenen geeignet sein. Dazu gehört, dass sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst anerkannten Standards unterliegt. Eine Behandlungsart oder Behandlungsform, die nicht auf einem breiten medizinischen Konsens basiert, darf nicht durch staatliche Gewalt in Form einer gerichtlichen Genehmigung gegen den Willen eines Betroffenen durchgeführt werden (s. BGH, Beschluss v. 15.01.2020, XII ZB 381/19)

b)

Die Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens des Betroffenen kann grundsätzlich nur dann gerechtfertigt sein, wenn es darum geht, erhebliche gesundheitliche Nachteile zu verhindern. Wenn also auch bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen gesundheitlichen Nachteile für den Betroffenen entstehen, muss sein Wille, die Behandlung nicht durchzuführen, respektiert werden. Das bedeutet, dass die Einwilligung des Betreuers in diesem Fall nicht genehmigungsfähig ist.

2.

Zusätzlich darf keine andere, weniger belastende Maßnahme zur Verfügung stehen, den drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden des Betroffenen erfolgreich zu behandeln.

3.

Auch dann, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Zwangsbehandlung nur dann verhältnismäßig, wenn der von ihr erwartete Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt. Das bedeutet, dass in einem weiteren Schritt dem zu erwartenden Behandlungserfolg die Nebenwirkungen und Komplikationen gegenüberzustellen sind und beides gegeneinander abgewogen werden muss.

 

 

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