Betreuungsrecht international

In allen Ländern wird gekämpt um die Beantwortung der Frage, in welcher Art und Weise am besten auf die Bedürfnisse von hilfsbedürftigen Menschen eingegangen werden kann und zugleich die hohen Maßstäbe an ein selbstbestimmtes Leben – die wir als zivilisierte Gemeinschaft an uns selbst setzen ( Art. 12 Abs. 4 UN Behindertenrechtskonvention) – verwirklicht werden können. Art. 12 Abs. 4 der UN-BRK verlangt, dass bei allen einschlägigen Maßnahmen die Rechte, der Wille und die Vorlieben der betreffenden Person geachtet werden.
Tatsache ist, dass es nicht nur eine Pflicht, sondern auch von grundlegender Wichtigkeit für das Funktionieren der gesamten Gesellschaft ist, Gesetze zu schaffen, bzw. zu verbessern, die einen menschenrechtskonformen Umgang mit betreuungsbedürftigen Menschen ermöglichen. Jedem Betreuungsverfahren sind Spannungsverhältnisse, die durch die vielen verschiedenen, grundlegenden Lebensumstände der Betroffenen einerseits und durch den „staatlichen Eingriff Betreuung“ andererseits verursacht werden, immanent. Die erforderlichen gesetzlichen Regelungen müssen zum einen dazu dienen, die Betroffenen im positiven Sinne weitreichend unterstützen zu können, was aber auch die Tatsache beinhaltet, dass – wenn nötig – für sie auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden müssen. Und auf der anderen Seite den Betroffenen so viel eigenen Entscheidungsspielraum und Selbstbestimmung zu belassen, wie möglich.
Erfahrungen in der betreuungsrechtlichen Arbeit zeigen, dass auftretende Konfliktsituationen alltäglich sind. Zwischen dem Willen des Betroffenen, seinen eigenen oftmals auch in sich unterschiedlichen Vorstellungen und der geltenden Rechtslage bestehen Widersprüche, die sich nicht durch „schwarz-weiß-Regelungen“ aus der Welt schaffen lassen. Die zur Verfügung stehenden Spielräume in den „Grauzonen“ sind es, die die Wahrung der Menschen- und Grundrechte erst optimal ermöglichen.
Bei der Frage, welche Unterstützungsalternative für jeden einzelnen die geeignete ist, kommt es vorab auf die Beantwortung der Frage an, warum Unterstützung (in Form von Betreuung oder Vollmacht) überhaupt benötigt wird. Die Gründe, warum für eine Person Betreuungsbedarf und Betreuungsbedürftigkeit besteht, sind vielfältig und individuell. Dementsprechend breit gefächert müssen die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Unterstützung sein. Beispielsweise hat eine dauerhaft psychisch kranke Person einen ganz anderen Unterstützungsbedarf als eine Person, bei der Krankheitsverläufe episodisch verlaufen oder als eine körperlich behinderte Person. Wieder eine andere Kategorie stellen Demenzpatienten dar.
Des Weiteren nimmt auch die Frage, in welchem Alter ein Betroffener Unterstützung benötigt erheblichen Einfluss auf die Art der Unterstützung. Das Alter eines Menschen hat Einfluss darauf, welche sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für ihn ausgeschöpft werden können.
Und schließlich spielt auch das soziale und familiäre Umfeld der Betroffenen eine erhebliche Rolle bei der Beurteilung der Frage, welche Alternativen gewählt werden können, bzw. müssen.
Denkbare und zum Teil praktizierte Unterstützungsmöglichkeiten außerhalb der gesetzlichen Betreuung oder Vollmacht:
Einige Länder sind auf dem Weg, z. T. unterschiedliche Formen der Angehörigenstellvertretung in das Rechtssystem einzubauen, bzw. haben dies schon getan. So gibt es Formen der Angehörigenstellvertretung beispielsweise in den Ländern Japan, Niederlanden, Norwegen, Südkorea, Schweiz, Spanien, Tschechische Republik, Österreich und Argentinien. Auch in Deutschland besteht seit langem die Diskussion darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form ein Angehörigenstellvertretungsrecht eingeführt werden soll. Die Vor- und Nachteile einer solchen gesetzlichen Regelung haben wir in verschiedenen Beiträgen auf unserer Betreuungsrechtsseite mehrfach ausführlich dargestellt (Kategorie „Angehörige“). Ein gesetzliches Vertretungsrecht der Angehörigen kann sowohl positiv gesehen werden – als besonderer Ausdruck der Stellung, der Wertschätzung und des Schutzes der Familie. Oder auch negativ – als Überforderung der Angehörigen und als „Ausgeliefertsein“ des Betroffenen. Auch in Schweden wird diese Diskussion derzeit geführt, dort wurde bis jetzt auch noch keine gesetzliche Regelung in dieser Hinsicht geschaffen.
Des Weiteren existiert in vielen Ländern (z. B. Österreich, Brasilien, Türkei, Niederlande, Frankreich) die Regelung, dass es – wenn es zu einem Betreuungsverfahren kommt – die Vermutung gibt, dass nahe Angehörige bei der Betreuerauswahl zu bevorzugen sind. Der diesbezügliche Wunsch des Betroffenen ist durch die Betreuungsgerichte vorrangig zu berücksichtigen.
Es gibt in allen Staaten verschiedene Lösungsansätze und gesetzliche Regelungen, die auch in historischem und geographischem Zusammenhang gesehen werden müssen. Die Erforderlichkeit, das Betreuungsrecht auf nationaler und internationaler Ebene immerwährend weiterzuentwickeln liegt in der Natur der Sache und wird wohl jedenfalls so lange nicht zu einem Ende kommen, bis alle Gesellschaften verinnerlicht haben, dass die Bedürfnisse der Betroffenen wahrgenommen und anschließend durch entsprechendes Handeln berücksichtigt werden müssen. Und zwar in einer Art und Weise, die der Einhaltung der Menschenrechte entspricht, egal um welche „Zielgruppe“ (Ältere, psychisch Kranke, Behinderte etc.) es sich dabei handelt.

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