Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren

Immer wieder werden uns Fragen dazu gestellt, wie eine ordnungsgemäße Anhörung im Betreuungsverfahren abzulaufen hat, ob der Betroffene daran mitwirken muss und / oder ob er sich dazu zwingen lassen kann.
Zunächst muss einmal klar gestellt werden, dass der Sinn der Anhörung unter anderem darin besteht, dass der Betroffene zusammen mit dem Gericht die Sachlage genau besprechen kann, um gegebenenfalls gemeinsam Möglichkeiten zu finden, eine evtl. im Raum stehende Betreuung abzuwenden. Die Anhörung kann z. B. dazu genutzt werden, vom Richter über die mögliche Erstellung einer Vorsorgevollmacht  oder Betreuungsverfügung aufgeklärt zu werden. Denn die Anordnung einer Betreuung ist u. a. immer nur dann möglich, wenn sie erforderlich ist und die Angelegenheiten des Betroffenen nicht durch andere Hilfen besorgt werden können. Insoweit kann die Anhörung durch das Gericht auch positiv gesehen werden. In der Praxis stellt sich das Zusammenspiel der Beteiligten leider jedoch oft nicht sehr vertrauensvoll dar.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Anhörung:
1.
Wie läuft die Anhörung ab?
Im Betreuungsverfahren gilt für das Gericht die Amtsermittlungspflicht. Das heißt, dass Gericht muss alle entscheidungserheblichen Umstände ermitteln.
Vor der Bestellung eines Betreuers hat das Gericht den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Schaffung des „persönlichen Eindrucks“  ist dahingehend zu verstehen, dass es für das Gericht so möglich sein soll, seiner Kontrollfunktion gegenüber Sachverständigen, Betreuern, Verfahrenspflegern und anderen Beteiligten nachzukommen. Der persönliche Eindruck wird grundsätzlich durch „Inaugenscheinnahme“ des Betroffenen gewonnen. Sogar bei schwerstkranken Menschen, bei denen infrage steht, ob sie tatsächlich nicht in der Lage sind, einen freien Willen zu bilden, muss sich das Gericht selbst einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschaffen.
Das Gericht darf den Betroffenen nicht mit einem kurzfristigen Termin überrumpeln, sondern hat ihn rechtzeitig davon in Kenntnis zu setzen.
Zuständig für die Anhörung ist der zuständige Betreuungsrichter oder Rechtspfleger.
Die Anhörung ist nicht öffentlich, das Gericht kann aber auf Verlangen des Betroffenen zulassen, dass eine oder mehrere Vertrauenspersonen anwesend sind. Dadurch soll der Betroffene unterstützt und eine entspannte Gesprächssituation geschaffen werden.
Der Betroffene kann verlangen, dass die Person, die zum Betreuer bestellt werden soll, bei der Anhörung anwesend ist. Falls der Betroffene einen Verfahrensbevollmächtigten hat, ist dieser von dem Termin vorher zu unterrichten und auf Wunsch des Betroffenen ebenfalls mit hinzuzuziehen.
Des Weiteren sind dem Betroffenen, bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten, im Vorfeld die Ermittlungsergebnisse des Gerichts zu übermitteln. Dabei handelt es sich i. d. R. um Sachverständigengutachten, ärztliche Zeugnisse, Sozialberichte der Betreuungsstelle usw. Wichtig ist, dass diese Ermittlungsergebnisse vollständig übermittelt werden, damit der Betroffene, bzw. sein Verfahrensbevollmächtigter oder der Verfahrenspfleger, Zeit haben sich darauf vorzubereiten und evtl. Einwände zu erheben oder eigene Lösungsvorschläge (z. B. Nennung eines Vorsorgebevollmächtigten) zu erarbeiten. Es gibt Fälle, in denen von einer Übermittlung der Ermittlungsergebnisse an den Betroffenen abgesehen wird, weil  dadurch eine Gefährdung seiner Gesundheit im Raum stehen würde. Dann muss dem Betroffenen aber zwingend ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt werden. Diesem sind die Ergebnisse vollständig zu übermitteln.
Grundsätzlich ist während des Anhörungstermins auf den Zustand des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Die Art und der Grad seiner Erkrankung oder Behinderung und seine intellektuellen Fähigkeiten sind maßgebende Faktoren für den Ablauf des Gesprächs.
2.
Der Inhalt der Anhörung
Das Gericht muss den Betroffenen mit Rücksicht auf seine Krankheit oder Behinderung entsprechend über das Wesen und den Umfang der infrage stehenden Betreuerbestellung aufklären. Es müssen die Erforderlichkeit  der Betreuung, die vorgesehenen Aufgabenkreise und die Dauer der Betreuerbestellung erörtert werden. Vorschläge des Betroffenen, z. B. hinsichtlich der Betreuerauswahl sind hier zu besprechen genauso wie evtl. bestehende Interessenkonflikte.
3.
Darf zu diesem ersten Anhörungstermin gegen den Willen des Betroffen auch gleich ein Sachverständiger geladen werden?

Ja. Dies ist eine sehr befremdliche Situation für den Betroffenen. Auch wenn er der Teilnahme eines Sachverständigen beim Anhörungstermin nach § 278 FamFG widerspricht, kann das Gericht anordnen, dass ein Sachverständiger teilnimmt. Als Begründung wird § 280 Abs. 2 FamFG angeführt, wonach der Sachverständige des Betroffenen ohnehin persönlich zu untersuchen und zu befragen hat. Die Ängste des Betroffenen, der im Anhörungstermin auch gleich noch einem Sachverständigen gegenübertreten muss, sind verständlich und begründet. Denn der Sachverständige kann dann auch noch gleich mündlich zu Protokoll des Betreuungsgerichts sein Gutachten erstatten!
4.
Wo findet die Anhörung statt?

Der Ort des Anhörungstermins wird vom Gericht bestimmt. Dieser kann im Gerichtsgebäude stattfinden, aber auch in der Einrichtung, in der der Betroffene  lebt oder an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort, seiner Wohnung.
Grundsätzlich gilt, dass das Verschaffen des persönlichen Eindrucks am besten in der üblichen Umgebung des Betroffenen gelingt. Eine Anhörung zu Hause oder in einer Heimeinrichtung etc. soll jedenfalls dann stattfinden, wenn der Betroffene dies verlangt. Gründe dafür können beispielsweise Ängste des Betroffenen oder sein Gesundheitszustand sein. Außerdem kann die Anhörung in der Wohnung des Betroffenen dazu dienen, weitere Erkenntnisse über seine Persönlichkeit und seine Lebensumstände zu erhalten.
Wenn der Betroffene allerdings einer Anhörung in seiner Wohnung, bzw. seinem persönlichen Umfeld widerspricht, hat diese zu unterbleiben, d. h. wenn der Betroffene dies nicht möchte, darf die Anhörung nicht (gewaltsam) in seiner Wohnung durchgeführt werden!
Die Anhörung im Gerichtsgebäude durchzuführen stellt eine Möglichkeit für das Gericht dar, zu prüfen, ob der Betroffene die Fähigkeit besitzt, seine Angelegenheiten eigenständig auch außerhalb seiner üblichen Umgebung wahrzunehmen – wenn z. B. genau dies infrage steht und vom Gericht ermittelt werden soll. Die Ergebnisse dieser Vorgehensweise werden diesseits jedoch eher kritisch betrachtet, da es für die Betroffenen immer mit Aufregung und Ängsten verbunden ist, einen solchen Termin wahrzunehmen.
Wenn die Anhörung zunächst im Gerichtsgebäude stattgefunden hat, kann der Betroffene immer noch einmal verlangen, dass eine weitere Anhörung in seiner üblichen Umgebung stattfinden soll. Praktisch betrifft dies solche Fälle, in denen in der ersten Anhörung die Ermittlungsergebnisse vermeintlich gegen ein weiteres eigenständiges Leben des Betroffenen sprechen. In dem erneuten Anhörungstermin zu Hause besteht für den Betroffenen u. U. die Möglichkeit, das Gericht davon zu überzeugen, dass er sich in seiner üblichen Umgebung noch gut zurechtfindet.
5.
Wenn nicht schon vor der Anhörung geschehen, muss der Betroffene über den Verfahrensverlauf unterrichtet werden.
Da in vielen Fällen die Betroffenen krankheitsbedingt die schriftlichen Ausführungen zum Verfahrensverlauf nicht richtig verstehen und nachvollziehen können, ist der Anhörungstermin der richtige Zeitpunkt, den Betroffenen mündlich adäquat zu informieren.
6.
Kann von der persönlichen Anhörung abgesehen werden?

Von der persönlichen Anhörung kann nur in den Fällen des § 278 Abs. 4 i. V. m. § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden:
Wenn durch ein ärztliches Gutachten bestätigt wird, dass von der Durchführung der Anhörung erhebliche gesundheitliche Gefahren für den Betroffenen ausgehen. Beispielsweise kommen hier Gefahr des Herzversagens oder erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei psychischen Erkrankungen in Betracht. Und wenn diese Gefahr auch nicht durch Hinzuziehen einer oder mehrerer Vertrauenspersonen ausgeschlossen werden kann.
Wenn das Gericht aufgrund des unmittelbaren persönlichen Eindrucks zu dem Schluss kommt, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen in irgendeiner Form, also schriftlich, mündlich, durch Gesten oder mit Hilfe eines Gebärdendolmetschers zu äußern.
In beiden Fällen muss dem Betroffenen vorher ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt werden.
Wenn von der Anhörung abgesehen wurde, muss das Gericht dies in der Entscheidung konkret und unter Darlegung der tatsächlichen Umstände begründen.
7.
Kann das Gericht auch davon absehen, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen?

Nein. Der persönliche Eindruck ist grundsätzlich immer einzuholen. Einziger absoluter Ausnahmefall ist dann denkbar, wenn eine erhebliche Gesundheitsgefahr zu befürchten ist. Klarzustellen ist hier noch, dass die heimliche Inaugenscheinnahme eines Betroffenen verboten ist.

8.                                                                                                                                                                                                                                                Was geschieht, wenn der Betroffene nicht zum Anhörungstermin erscheint?
Wenn sich der Betroffene weigert, die Anhörung durchzuführen, kann das Gericht dafür sorgen, dass er durch die zuständige Betreuungsbehörde vorgeführt wird, § 278 Abs. 5 FamFG. Eine Vorführung durch die Polizei oder den Gerichtsvollzieher ist unzulässig.
Diese Vorführung, die erheblich in die Grundrechte des Betroffenen eingreift, ist nur dann zulässig, wenn keine anderen Möglichkeiten gegeben sind, den Betroffenen zur Mitwirkung an der Anhörung zu bewegen. Zunächst muss also versucht werden, den Betroffenen durch Dritte, den Betreuer, erreichbare Angehörige oder andere Vertrauenspersonen von der freiwilligen Teilnahme an der Anhörung zu überzeugen. Wenn sich der Betroffene weiterhin weigert, muss die Vorführung zunächst angekündigt, bzw. angedroht werden. Diese Ankündigung/Androhung ist notwendig, weil die Vorführung zur Anhörung verhältnismäßig sein muss. Es wird erwartet, dass der Betroffene, wenn er eine schriftliche Ankündigung/Androhung zur Vorführung erhält, sich eventuell doch noch anders entscheidet und freiwillig zum Anhörungstermin erscheint.
Zuständig für die Anordnung einer Vorführung ist ausschließlich der Richter und niemals der Rechtspfleger.
Anzumerken ist hier noch, dass die Rechtsprechung teilweise der Ansicht ist, dass in Fällen, in denen der Betroffene den Anhörungstermin unentschuldigt verstreichen lässt und er zuvor auf die Folgen seines Nichterscheinens hingewiesen wurde, auch ohne Anhörung entschieden werden kann. Das heißt, dass das Gericht – ohne mit dem Betroffenen vorher einmal gesprochen zu haben – die gerichtliche Betreuung anordnen könnte. Dies ist vor allem deshalb bedenklich, da die Anhörung ja nicht nur dazu dient, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu dem beabsichtigten Verfahren zu äußern. Es soll vor allem auch dem Gericht die Möglichkeit geben werden, sich einen umfassenden Kenntnisstand bezüglich des Betroffenen, seiner Gesundheit und seinen Lebensumständen anzueignen. Diese Verfahrensweise könnte u. U. allenfalls nur dann als zulässig angesehen werden, wenn im absoluten Ausnahmefall eine Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig wäre  und dem Gericht bereits alle Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung zur Betreuerbestellung notwendig sind.
9.
Wie läuft eine Vorführung zur Anhörung ab?

Der Betroffene wird zum vorher angekündigten Termin von Mitarbeitern der zuständigen Betreuungsbehörde abgeholt. Wenn dieser Versuch erfolglos bleibt und der Betroffene sich weigert, kann das Gericht die Betreuungsbehörde darüber hinaus dazu ermächtigen, körperliche Gewalt einzusetzen. Damit ist Festhalten, Wegführen oder Wegtragen des Betroffenen gemeint. Dieses Vorhaben muss wiederum verhältnismäßig sein, d. h. in diesem Falle, dass es für das Gericht feststehen muss, dass der Betroffene sich ohne Anwendung von Gewalt nicht zur Anhörung bringen lassen wird. Zusätzlich muss dem Betroffenen vorher ausdrücklich angekündigt worden sein, dass, wenn er sich immer noch weigert, Gewalt gegen ihn eingesetzt werden wird. In diesem Fall kann die Betreuungsbehörde zur Unterstützung auch die Polizei einschalten.
Zusätzlich kann die Betreuungsbehörde vom Gericht  dazu ermächtigt werden, die Wohnung des Betroffenen gegen dessen Willen gewaltsam zu öffnen und zu betreten. Auch dieses Vorhaben muss zuvor vom Gericht angeordnet worden sein. Die Wohnung darf dann zu dem Zweck geöffnet und durchsucht werden, den Betroffenen zu finden und anschließend zur Anhörung vorzuführen. Auch hier werden i. d. R. zusätzlich zu den Mitarbeitern der Betreuungsbehörde die Polizei und evtl. Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes anwesend sein.
Bei Gefahr im Verzug darf das Öffnen und Betreten der Wohnung sogar ohne richterliche Anordnung von den Mitarbeitern der Betreuungsbehörde angeordnet werden.
10.
Wie kann der Betroffene sich gegen die Vorführung zur Anhörung wehren?

Die Anordnung zur Vorführung, deren Ankündigung und Androhung sind sog. verfahrensleitende Zwischenentscheidungen. Trotz der gravierenden Grundrechtseingriffe, die für den Betroffenen davon ausgehen, sind diese nach dem Gesetz (außer bei willkürlicher Anordnung) grundsätzlich nicht anfechtbar.
Trotzdem wird gefordert, dass eine Anfechtungsmöglichkeit für den Betroffenen gegeben sein muss. Die hier zur Rede stehenden Zwangsmittel in Form von körperlicher Gewalt, Öffnen und Betreten der Wohnung greifen erheblich in die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte und in das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung ein. Es wäre ein rechtsstaatlich unzumutbarer Zustand für den Betroffenen, wenn er im Rahmen eines Betreuungsverfahrens diese Zwangsmaßnahmen unwidersprochen über sich ergehen lassen müsste. Er hätte sonst erst am Ende des Verfahrens, nämlich dann, wenn das Gericht einen Betreuer bestellt hat, nur die Möglichkeit, gegen diesen Betreuerbeschluss insgesamt vorzugehen.

Susanne Kilisch
Wiss. Mitarbeiterin

Themen
Alle Themen anzeigen